Der Semmelkoenig
böse schauenden Knaben. Oh mein Gott, entweder hatte Frau Klöter schon so einen Satansbraten oder er war auf dem besten Wege, einer zu werden.
Ein aufgeregtes Geschnatter riss Hannes aus seinen Überlegungen. Was hatten die Enten denn? Neugierig geworden ging er zum Kanal, wurde aber zwei Meter davor von einem Maschendrahtzaun Marke Gefängnissicherheitshochtrakt aufgehalten. Sonderbar, dass er ihn nicht gleich gesehen hatte. Es lag vermutlich an der grünen Farbe, die sehr dezent mit der Natur verschmolz. Aber warum stand hier so ein Ungetüm? Gab es in dieser Stadt eventuell Einbrüche? Er konnte es sich nicht so recht vorstellen, und auch alle Nachbargrundstücke hatten freien Zugang zum Wasser. Dann war das wohl nur als Schutz für das kleine Kind zu sehen. Ein bisschen übertrieben reagierten die Mütter von heute schon, fand Hannes, revidierte seine Überlegung aber sofort wieder, als er an das Buch dachte. Vielleicht sollten die anderen vor dem Sohn des Hauses geschützt werden.
Die Enten hatten sich beruhigt. Vermutlich war ein Freigeist in der Kinderschar der Grund für die Aufregung gewesen. Hannes schien es fast so, als ob das letzte Entlein etwas schuldbewusst dreinblickte. Er musste grinsen. Abgesehen von dem Zaun war es hier einfach wunderschön.
Ja, so etwas würde er auch gerne mal haben. Für sich und seine zukünftige Familie. Es musste herrlich sein, abends von der Arbeit nach Hause zu kommen, seine Kinder glücklich spielend im Garten zu treffen, während die Frau – eine Mischung aus Claudia Hubschmied und Sybille Möller-Spatz – dem Abendessen seinen letzten Schliff verlieh. Er musste über sich selbst lachen. Manchmal konnte er wirklich sehr altmodisch sein. Egal! Er nahm einen tiefen Zug, als wollte er den Duft des Fantasiebratens einsaugen. Sofort hörte er damit auf. Verflixt, er stank immer noch bestialisch. Er musste sofort diesen Geruch loswerden! Der Kanal wäre ideal für eine intensivere Behandlung gewesen, nur war er eben nicht erreichbar. Genervt drehte Hannes sich um und sein Blick fiel auf ein Kinderplanschbecken, das er vorhin doch tatsächlich übersehen hatte. Vorsichtig blickte er sich um. Kein Mensch war zu sehen. Warum eigentlich nicht? Die Klöters waren nicht zu Hause, sodass die Gefahr, der Junge könnte heute noch hineinhüpfen, sehr gering war. Außerdem – beruhigte Hannes sein schlechtes Gewissen – hatte er hier ja schließlich einen Notfall. Ferner blieb die Peinlichkeit, in der Pension nur noch mit einem nassen, aber nicht stinkenden Schuh zu erscheinen, im Rahmen und er würde zusätzlich Zeit sparen, denn er müsste sich nur schnell umziehen und nicht noch unter der Dusche die letzten Reste des Hundekots vom Schuh entfernen. All das waren Argumente, die sehr für seinen Plan sprachen. Es war moralisch vertretbar und so zögerte Hannes nicht länger, ging zum Planschbecken und stellte seinen rechten Fuß hinein.
83
Kommissar Maus brauchte eine Auszeit. Nachdem er alle nötigen Instruktionen gegeben hatte, musste er sowieso auf Ergebnisse warten. Das konnte er auch zu Hause. Kurzentschlossen betrat er um punkt drei Uhr sein kleines, gemütliches Einfamilienhaus, hängte die Jacke auf, ignorierte, dass sie gleich wieder vom Garderobenhaken rutschte, ging in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Er musste seinen angespannten Geist mit etwas Süßem beruhigen. Misstrauisch schnupperte er an einem Schälchen, das eventuell Pudding enthalten könnte.
»Iss das ruhig, aber ich glaube, es wird dir nicht besonders bekommen.«
Maus brauchte sich gar nicht umzudrehen, denn er wusste, dass seine Frau hinter ihm stand. Er grinste.
»Was is es denn diesmal, Inga? Mehlwürmer oder Maden?«
»Gar nicht so übel. Du weißt mittlerweile, was meine geheimen Zutaten sind.«
Sie nahm ihm das Schälchen ab und begann es mit einem Löffel auf seine Konsistenz zu überprüfen.
»Ja, das kann ich jetzt so nehmen«, bemerkte sie zufrieden, ging zur Tür und rief über die Schulter: »Gerhard, nimm dir doch ein Stück Erdbeerkuchen. Kaffee müsste noch warm sein. Ich geh mal kurz zur Raubtierfütterung. Du glaubst gar nicht, was diese kleine Grasmücke für einen Appetit hat. Man könnte fast meinen, dass sie plant, so groß wie ein Adler zu werden.«
Mit einer Tasse Kaffee und einer Kuchengabel bewaffnet setzte Maus sich aufseufzend an den Tisch. Er machte sich gar nicht erst die Mühe, einen Teller zu suchen, sondern stach ein Stück von dem leckeren Kuchen ab, der
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