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Der Semmelkoenig

Der Semmelkoenig

Titel: Der Semmelkoenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Hirschel
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lockern, kam ins Rollen, genau in dem Moment, in dem sie das Gewicht verlagern wollte. Sie strauchelte, kämpfte mit dem Gleichgewicht, fing sich sofort wieder, doch Georg hatte genau diese Millisekunde gereicht, um sich auf sie zu stürzen.
    Das Geplänkel war vorbei, der Kampf um Leben und Tod begann. Er hatte sie am Hals gepackt und hochgehoben als würde sie nichts wiegen. Verzweifelt versuchte Claudia, seine Finger zu lösen. Wie eine Schlenkerpuppe wurde sie herumgeschleudert. Ihre Füße traten in die Luft. Einmal, zweimal – jetzt hatte sie endlich sein Schienbein getroffen, ohne Erfolg, das Atmen fiel ihr schwer –, dreimal – schon wieder daneben.
    Er macht es nicht richtig, versuchte sie sich zu beruhigen. In der medizinischen Fortbildung hatte sie gelernt, dass man am besten … Verflixt, was tat sie denn da? Er war kurz davor, wenn auch unfachmännisch, dafür aber umso brutaler, den Kehlkopf einzudrücken und ihr fielen dazu nur Vorträge ein, wie man das Opfer schneller und eleganter ins Jenseits befördern konnte. Der plötzliche Schmerz an ihren Oberschenkeln ließ sie sich endlich wieder auf das Wesentliche konzentrieren. Sie waren also am Geländer angekommen, und nun taten sich zwei Möglichkeiten für sie auf: erwürgt zu werden – bald würde sie das Bewusstsein verlieren – oder in die Schlucht zu stürzen. Natürlich wäre auch beides gleichzeitig drin. Mit letzter Kraft stemmte sie sich gegen die Absperrung, ließ seine Hände los, holte aus, traf Georg auf das verletzte Auge, und wie durch ein Wunder schien er doch noch etwas fühlen zu können, denn sein Griff lockerte sich. Hustend und würgend sog Claudia endlich wieder Luft ein, bevor er wieder zudrücken konnte.
    Sie hatten sich gedreht. Jetzt stand er Richtung Abgrund. Schnell rechnete sie sich ihre Chancen aus. Sie waren gering, aber trotzdem …? Auch wenn Claudia ein Mensch war, der Routine nicht besonders mochte, blieb sie bei der bewährten Methode und versuchte noch einmal das Auge zu treffen. Er hatte jedoch damit gerechnet, fing die kleine Faust ab, schien sie zerquetschen zu wollen, hielt den Hals immer noch mit der Linken fest und starrte sie hasserfüllt an.
    »Du miese, kleine Hure!«, zischte er. Alle Kraft war schlagartig aus ihrem Körper gewichen.
    Das war es dann wohl, schoss es ihr durch den Kopf, sie war nicht mehr sein Schnittchen und gleich auch tot. Er würde jetzt zudrücken und sie runterwerfen. Vielleicht schaute er noch einmal nach, ob sie wirklich hinüber war – sie war sich jedoch sicher, dass dazu keine Notwendigkeit bestände, denn ihre Lunge und ihr Herz fühlten sich an, als wollten sie zerbersten. Bei Heidi hatte er zwar noch einmal nachhelfen müssen, aber nun hatte er eindeutig Übung.
    Claudia würgte, röchelte, versuchte noch einmal, mit der freien Hand ihre Kehle zu befreien, gab auf und wartete auf schöne Bilder aus ihrem Leben, die sie die letzten Sekunden begleiten sollten, doch stattdessen musste sie weiterhin in das Gesicht dieses Irren blicken. Gab es etwa noch Hoffnung? Sie hörte ein Bellen. Ja, gleich würde sie sich verabschieden und einen Hund, den sie sich schon als Kind immer gewünscht hatte, sehen. Sogar dreidimensional! Cool, dachte sie, als plötzlich ein schwerer Körper heranschoss und Georg nach hinten riss, von ihr fort. Er musste sie loslassen, sie fiel zu Boden, schnappte nach Luft, fühlte ein Brennen in der Kehle, sah den großen Schatten, der ihren Angreifer zähnefletschend nach hinten drängte, hörte das Splittern von Holz, den Schrei und dann wurde ihr schlecht und schwarz vor Augen.

89
    »Du glaubst also, dass das alles zusammenhängt?«, fragte Inga Maus ihren Mann.
    »Unbedingt. Der Möller wurde erpresst, die Geldbotin ermordet und Anni Hintersee war unfreiwillig durch ihre Neugier oder ihr Schutzbedürfnis Wolfgang gegenüber in die Sache reingeraten. Sie war eine Gefahr und wurde beseitigt, und das ist der Wendepunkt. Es ist anzunehmen, dass der Kopf der Erpresserbande durchgedreht hat. Vom Charakter her eine Person, die gern die Kontrolle hat, warf er sich durch diesen ungeplanten Mord selbst aus der Spur. Wir nehmen an, dass Möller in Wien angerufen wurde, denn er wollte eigentlich erst heute Nachmittag hier sein. Aber er ist ja mitten in der Nacht aufgebrochen. Wahrscheinlich haben sie ein kurzfristiges Treffen vereinbart. Es sieht so aus, als ob hier ganz schnell alle Zelte abgebrochen werden sollten. Jemand wollte offensichtlich das letzte Geld

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