Der Serienmörder von Paris (German Edition)
Kollaborateure und Gestapo-Agenten“ in Frankreich finden könne. Es sei eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, ihn als Soldaten des Reichs zu bezeichnen. An die Aussagen schlossen sich folgende Bemerkungen an:
Der Autor dieser Zeilen, weit davon entfernt, auf irgendeine Art unehrenhafte Taten begangen, seinen Folterknechten vergeben oder ihnen jemals geholfen zu haben, legte sich direkt nach der Freilassung aus dem deutschen Gefängnis [1944] ein neues Pseudonym zu. Er hat seinen Posten bei der Résistance mit einem [anderen] neuen Pseudonym wieder eingenommen, um eine aktivere Rolle im Rahmen der Vergeltungsaktionen für hunderttausende getötete und von den Nazis gefolterte Franzosen zu spielen. Er hat stets den Kontakt zu den Freunden aufrechterhalten und unter Ausschöpfung aller ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für die Befreiung des Landes gekämpft, und das trotz der Gefahr, in die er durch seine Handlungen geraten war und in der er ständig schwebte. Er versucht auch weiterhin, so gut wie möglich zur Befreiung beizutragen und entschuldigt sich dafür, nicht genügend Zeit zu haben, um diese Polemik näher zu erläutern.
Petiot schloss die Beschreibung der Heldentaten, wobei er weiterhin in der dritten Person schrieb, folgendermaßen: „Er hat bis auf sein Leben alles verloren und setzte auch dieses aufs Spiel, wenn auch unter einem falschen Namen. Ihm verbleibt nur ein Funken Hoffnung, dass die Münder und Stifte, nun von ihren Ketten befreit, eine so einfach zu vermutende Wahrheit verbreiten. Sie müssten die verschrobenen Anschuldigungen der Boche [Schimpfwort der Franzosen für Deutsche, A. T.] hinterfragen und mit nur einem Quäntchen gesunden französischen Menschenverstands die Lügen durchschauen.“
Verständlicherweise war die Polizei von der Antwort ganz aus dem Häuschen. Nicht nur bestätigte der Brief, dass Petiot noch lebte – viele Ermittler hatten befürchtet, dass sich die Berichte über seinen Tod als wahr herausstellten –, sondern er bot darüber hinaus einige Ansatzpunkte über den Aufenthaltsort des Arztes. Mit einer wahnwitzigen Eile, sich zu verteidigen, hatte er der Ermittlung mehr geholfen als ihm wohl lieb war.
Mal von dem Geständnis der Identität als Dr. Eugène und einer überprüfbaren Codenummer abgesehen, hatte Petiot die tatsächliche Mitgliedschaft bei der Résistance unter einem falschen Namen zugegeben und ihnen nicht weniger als acht handgeschriebene Seiten zur Verfügung gestellt, mit deren Hilfe man sein Alter ego ermitteln konnte. Er machte sich weder die Mühe, den Text abzutippen, noch bat er seinen Rechtsanwalt darum. Die Marke auf dem Umschlag belegte, dass der Briefumschlag in Paris abgestempelt worden war, und die Geschwindigkeit von Petiots Antwort legte die Vermutung nahe, dass er sich möglicherweise noch in der Hauptstadt aufhielt.
An diesem Punkt angelangt, halfen dann viele Menschen bei der Ergreifung des Serienmörders. Louis Jean Finot, ein Herausgeber der Résistance , veröffentlichte Petiots Brief, und die Polizei verbreitete das Schriftstück in den Kreisen der FFL. Alle Hinweise deuteten darauf hin, dass sich Petiot wahrscheinlich als Arzt tarnte, was sich für einen Mann mit seinem Hintergrund natürlich anbot. So konzentrierte sich die Suche zuerst auf Mediziner innerhalb der Résistance. Colonel Rol, Anführer der FFL in Paris, sicherte Schriftproben, die der Handschrift des besagten Briefes ähnelten.
Capitaine Henri-Jean Valeri zählte zu den Personen, die bei der Fahndung assistierten. Der ursprünglich aus Villepinte in Seine-et-Oise stammende Mann leitete die Gegenspionage der FFL, die Verräter und Kollaborateure ausmerzte. Der schlanke Mann in den späten Vierzigern mit dunkelbraunem Haar und einem üppigen Vollbart diente beim ersten Infanterieregiment als Ermittlungsoffizier der Gegenspionageeinheit G2 in Reuilly. Er konnte sich vieler Erfahrungen rühmen und zugleich einer besonderen Geschicklichkeit. Die schnelle Beförderung zum Capitaine unterstrich zudem seinen Eifer – auch wenn man in dieser Zeit generell nicht mit Beförderungen geizte. Die Polizeibeamten standen der Aufklärung des Falls Petiot so optimistisch gegenüber wie schon seit Monaten nicht mehr, doch nichtsdestoweniger lief ihnen die Zeit davon.
Nach der Befreiung begann für die Franzosen der lange und beschwerliche Weg, sich mit den Geschehnissen der düsteren Besatzungsjahre auseinanderzusetzen. Die dringlichste Aufgabe bei diesem
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