Der Sichelmoerder von Zons
einmal tief Luft und begann dann, die Textstellen vorzulesen.
„Es gibt ein Labyrinth unter Zons. Bastian hat dort für Pfarrer Johannes nach einem Schatz gesucht. Der Fundort ist mit einem doppelköpfigen Adler gekennzeichnet. Pfarrer Johannes versteckte diesen Schatz an einem neuen Ort. Wo dieser Ort ist, steht hier nicht. Ich glaube Bastian Mühlenberg wollte es nicht aufschreiben. Aber hier beschreibt er, wie er in das Labyrinth eingestiegen ist. Sieh dir diese Textstellen an Emily. Das ist ja Wahnsinn.“
Emily sprang auf und setzte sich neben Anna. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Da hatten sie also doch ein uraltes Geheimnis entdeckt. Aufgeregt rieb sie ihre Hände und studierte gemeinsam mit Anna die Unterlagen. Bastian Mühlenberg war außerhalb der Stadtmauern in das Labyrinth eingestiegen. Unter einer alten Weide hatte er einen begehbaren, unterirdischen Zugang gefunden. Im Sommer vor fünfhundert Jahren war ein ganzer Gang des Labyrinths eingestürzt. Dieser hatte auch einen der Wehrtürme an der Südmauer von Zons mit in die Tiefe gerissen. An der Stelle, wo früher der unterirdische Gang lag, hatte sich vor Bastians Augen damals ein riesiger langgestreckter Graben gebildet. Emily und Anna legten die heutige Karte von Zons neben die Karte des Labyrinths. Der Eingang hatte sich unter einer Weide an der Wiesenstraße befunden. Im Prinzip entsprach der Verlauf der heutigen Wiesenstraße dem eingestürzten Gang des Labyrinths. Bastian war links davon, in einen Parallelgang eingestiegen. Dieser führte geradewegs unter dem Zwinger, der heutigen Freilichtbühne und der südlichen Stadtmauer von Zons hindurch direkt ins Zentrum der Stadt. Bastian hatte mehrere mögliche Eingänge abgesucht und nur durch diesen einen Eingang unter der alten Weide hatte er Zugang gefunden. Im Labyrinth hatte er ein schreckliches Geheimnis entdeckt. Diese Textpassage mussten Anna und Emily jedoch noch weiter enträtseln. Seitenlang hatte Bastian mit verschlüsselter Schrift seine Aufzeichnungen fortgeführt. Den Zugang gab es heute jedoch nicht mehr, da er von Bastian noch im selben Sommer versiegelt wurde.
Anna und Emily blickten sich an. Beide hatten denselben Gedanken: Sie mussten in dieses Labyrinth kommen! Das würde die Story des Jahrhunderts werden. Aufgeregt sprang Emily auf und holte einen Zeitungsartikel hervor.
„Sieh dir das an, Anna. Erst vor ein paar Wochen haben sie in Zons einen alten Gewölbekeller entdeckt. Der Museumsvorplatz sollte umgestaltet werden und dabei ist einer der Bagger fast hineingerutscht. Ich wette mit dir, dass wir über den Keller des Kreismuseums einen Zugang finden werden. Schau dir die Karte genau an. Hier an dieser Stelle ist ein größerer Gewölbegang.“
Emily malte ein dickes rotes Kreuz auf die Karte und steckte sie dann mit einer Nadel an der Wand fest. Daneben befestigte sie die Karte des Labyrinths. Es waren hunderte von kleinen, eng verschlungen Gängen zu erkennen. Sie mussten sich gut vorbereiten, wenn sie sich nicht verlaufen wollten.
...
Kommissar Oliver stand in der kleinen, weiß gefliesten Waschanlage neben der Tankstelle, die direkt an der Landstraße B9 lag und lief um den toten Frauenkörper herum. Die Leiche war in eine Bodennische gequetscht, in der sich normalerweise Werkzeug für die Autoreinigung befand. Die Gliedmaßen ihres Körpers standen in einem unnatürlichen Winkel ab und gaben dem Anblick etwas Surreales. Fast hätte sie auf ein Gemälde von Picasso gepasst.
Ihr Mund stand weit offen und war schwarz von dem vielen verkrusteten Blut. Oliver beugte sich vorsichtig hinab, kniff seine blauen Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und schreckte im selben Moment zurück. Entsetzt stellte er fest, dass sie keine Zunge mehr hatte. Die Kehle war mit einem sauberen Schnitt durchtrennt. Ihre Augen waren schreckgeweitet und nach oben verdreht. Sie sah mager und verdreckt aus. Ihre Hand- und Fußgelenke wiesen Fesselspuren auf. Die Haut war an diesen Stellen aufgescheuert und blutunterlaufen.
„Es sieht so aus, als hätte der Täter sie längere Zeit gefangen gehalten“, brummte Klaus, der mittlerweile am Tatort eingetroffen war und sich von hinten an Oliver herangeschlichen hatte.
„Wo zum Teufel hast du gesteckt, Klaus?“
Klaus lief rot an und erwiderte dann:
„Ich war verabredet.“
Oliver sah ihn verständnislos an.
„Mit Sonja, du weißt schon. Wir haben uns wieder vertragen“, fügte Klaus schnell hinzu.
Oliver nickte. Er kannte
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