Der siebente Sohn
Gottes seid, dachte ich, daß Ihr diesen Teufel vielleicht im Namen des Herrn Jesus Christus austreiben könntet.«
Aberglaube und Zauberei waren natürlich Unfug, doch wenn Brustwehr nun die Möglichkeit aufbrachte, daß in dem Jungen ein Teufel stecken könnte, so paßte es zu dem, was er von dem Besucher erfahren hatte. Vielleicht wollte der Herr, daß er das Böse aus dem Kind vertrieb, und nicht, daß er den Jungen tötete.
»Ich werde gehen«, sagte er. Er griff nach seinem schweren Umhang und schleuderte ihn um seine Schultern.
»Ich muß Euch allerdings warnen, daß niemand im Haus mich gebeten hat, Euch zu holen.«
»Ich bin bereit, mich dem Zorn der Ungläubigen zu stellen«, erwiderte Thrower. »Was mir Sorgen macht, das ist das Opfer der Teufelei, nicht seine törichte und abergläubische Familie.
Alvin lag auf dem Bett, brannte in der Hitze seines Fiebers. Bei Tageslicht hielten sie die Fensterläden verschlossen, damit das Licht seinen Augen nicht weh tat. In der Nacht jedoch ließ er sie öffnen, um kalte Luft einzulassen. Während der wenigen Tage, als er hatte gehen können, hatte er den Schnee gesehen, der die Weide bedeckte. Nun versuchte er sich vorzustellen, wie er unter dieser Schneedecke lag. Erleichterung von dem Feuer, das seinen Körper durchloderte.
Er konnte nicht genau genug in sich hineinsehen. Was er mit dem Knochen tat, mit den Muskelsträngen und den Hautschichten, das war schwerer, als die Risse im Felsgestein zu finden. Doch er konnte sich durch das Labyrinth seines Körpers bewegen, die großen Wunden finden, ihnen dabei helfen, sich zu schließen. Das meiste von dem jedoch, was vorging, war zu klein und zu schnell, als daß er es hätte verstehen können. Er konnte zwar die Ergebnisse sehen, aber nicht die einzelnen Bestandteile, begriff nicht, wie es geschah.
So war das auch mit der schlimmen Stelle in seinem Knochen. Er konnte den Unterschied zwischen der schlimmen Stelle und dem guten, gesunden Knochen spüren, konnte die Ränder der Krankheit ausmachen. Doch konnte er nicht richtig sehen, was geschah. Er konnte nichts dagegen tun: Er würde sterben.
Er war nicht allein im Zimmer. Irgend jemand saß immer an seinem Bett. Manchmal öffnete er die Augen und erblickte Mama oder Papa oder eines der Mädchen. Manchmal sogar einen der Brüder, auch wenn das bedeutete, daß der dafür seine Frau und seine Arbeit vernachlässigte. Das war Alvin ein Trost, zugleich war es aber auch eine Bürde.
Immer wieder dachte er, daß er sich beeilen und sterben sollte, damit sie alle wieder ihr normales Leben führen konnten.
An diesem Nachmittag saß Measure neben ihm. Alvin hatte ihn zwar begrüßt, als er hereingekommen war, doch es gab nicht viel zu besprechen. Wie geht es? Ich sterbe, danke, und dir? Irgendwie schwierig, das Gespräch aufrechtzuhalten. Measure erzählte, wie er und die Zwillinge versucht hatten, einen Schleifstein zu schlagen. Sie hatten einen weicheren Stein ausgesucht als jenen, mit dem Alvin gearbeitet hatte, und dennoch war es außerordentlich schwierig gewesen. »Schließlich haben wir es aufgegeben«, sagte Measure. »Es muß eben warten, bis du zum Berg hochgehen und uns selbst einen Stein holen kannst.«
Alvin antwortete nicht darauf, und seitdem hatte keiner mehr ein Wort gesagt. Alvin lag in seinem Bett und schwitzte, spürte die Fäulnis in seinem Knochen, wie sie langsam und unentwegt anwuchs. Measure saß da und hielt seine Hand.
Measure begann zu pfeifen.
Das Geräusch erschreckte Alvin. Er war so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, daß die Musik aus großer Ferne zu kommen schien; er mußte eine ganze Strecke zurückreisen, um zu entdecken, woher sie stammte.
»Measure«, rief er; doch der Klang seiner Stimme war nur ein Flüstern.
Das Pfeifen verstummte. »Tut mir leid«, sagte Measure. »Stört es dich?«
»Nein«, sagte Alvin.
Measure begann wieder zu pfeifen, eine seltsame Melodie, die Alvin noch nie gehört hatte. Tatsächlich klang es gar nicht wie irgendein Lied. Es wiederholte sich nicht, sondern brachte immer neue Klangmuster hervor, als würde Measure alles gerade erfinden. Wie Alvin dalag und zuhörte, erschien ihm die Melodie wie eine Landkarte, die sich durch eine Wildnis zog, und er begann ihr zu folgen. Nicht daß er irgend etwas gesehen hätte, wie es der Fall gewesen wäre, wäre er einer richtigen Karte gefolgt. Sie schien ihm nur immer wieder die Mitte der Dinge zu zeigen, und alles, woran er dachte, stand in seinen
Weitere Kostenlose Bücher