Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
dieser Steine und Felsklötze war geschliffen, behauen oder sonst irgendwie bearbeitet worden, doch sahen einzelne, verstreute Steine und Steinhaufen so aus, als habe man sie von ihrer Schicht aus Moos und Flechten gesäubert. Alle Steine und Felsen waren anscheinend nach ihrer naturgegebenen Groteskheit ausgesucht worden. Statt einfach auf dem Untergrund zu stehen oder zu liegen, sprangen sie vor, bildeten Keile, drohten düster, kauerten da, glotzten, bäumten sich auf, duckten sich und bliesen sich auf wie eine verrückte, zusammengedrängte Horde von Troglodyten, zutiefst entsetzt oder ekstatisch begierig nach frischer Luft. Auf ihrem Verlauf durchs Tal wand die Straße sich durch ihre seltsamen Umrisse dahin wie durch einen gräßlichen Wald; auf dem Weg talabwärts befanden sich die Reiter ständig im Schatten der einen oder anderen zermarterten Gestalt. Troy wußte, daß diese staunenswerten Haufen an den Abhängen keine natürliche Anordnung hatten; sie waren von Menschen so verteilt worden, aus Gründen, die er nicht begriff. Während seiner vorherigen Durchquerungen war er nie interessiert genug gewesen, um nach der Bedeutung zu fragen. Deshalb erhob er nun keine Einwände, als Hoch-Lord Elena vorschlug, die Reisegesellschaft solle einen bestimmten Punkt aufsuchen, um das ausgedehnte Werk aus geeignetem Abstand zu betrachten. Hinter der grasbewachsenen Tiefe des Tals stieg ein anderer Hügel an, noch steiler und höher als der auf der anderen Seite; die Landstraße bog nach links ab, blieb jedoch auf dem Grund des Tals, führte am flachen Hügel vorbei. Elena schlug vor, daß die Reiter sich auf die letztere Anhöhe begeben sollten, um von oben über den Garten auszuschauen. Sie sprach zu ihrer gesamten Begleitung, doch ruhte ihr Blick dabei auf Covenant. Als er mit einem nichtssagenden Schulternheben reagierte, verfuhr sie, als habe er für sämtliche Reiter Zustimmung geäußert. Die Vorderseite des Hügels war für Pferde zu steil, also wandten sie sich nach rechts und trabten durchs Tal, bis sie eine Stelle fanden, wo sie die Reittiere vom Weg ab und von hinten auf die Höhe lenken konnten. Unterwegs begann Troy gelinde Erwartung zu verspüren. Die eifrige Bereitschaft des Hoch-Lords, Covenant die Aussicht zu zeigen, machte sie auch für ihn interessant. Er entsann sich an andere Überraschungen – zum Beispiel die Halle der Geschenke, der er kein Interesse entgegenbrachte, bis Mhoram ihn praktisch hineingeschleppt hatte. Auf seiner Kuppe lief der Hügel in einer kahlen Erhebung zu. Die Reiter ließen ihre Pferde stehen und legten das letzte Stück zu Fuß zurück. Sie entwickelten Eile, von Elenas Stimmung angesteckt, und erreichten die Hügelkuppe binnen kurzem.
Der Steingarten lag im Tal unter ihren Blicken ausgebreitet, ähnlich wie ein Flachrelief. Aus diesem Abstand konnte man deutlich erkennen, daß all die scheinbar wahllos aufgehäuften Steine und Felsen gemeinsam ein Muster bildeten. Die Erbauer des Gartens hatten aus gequältem Stein ein riesiges Antlitz geschaffen – eine breitflächige Miene mit knotig-knorrigen, verzerrten Gesichtszügen. Die Unregelmäßigkeit des Gesteins ließ das Angesicht beulig und gequetscht wirken; die Augen waren so zerfurcht wie tiefe Wunden, und die Landstraße schnitt hindurch wie eine Narbe ohne Ende. Aber trotz alldem war das Gesicht zu einem Lächeln unermeßlicher Heiterkeit verzogen. Dieser unvermutete Anblick veranlaßte Troy zu einem gedämpften, aber ehrlich frohen Auflachen. Obwohl die Lords und Lehrwarte den Garten allem Anschein nach schon kannten, spiegelten ihre Mienen ausnahmslos Freude wider, als übertrage sich ihnen das fröhliche Lächeln. Hoch-Lord Elena faltete die Hände, um eine heftige Anwandlung von ausgelassenem Frohsinn zu meistern, und Lord Mhorams Augen glitzerten in intellektuellem Vergnügen.
Nur Covenant lächelte nicht, er nickte nicht einmal, zeigte keinerlei Anzeichen von Freude. Seine Miene war so schauerlich wie das Wrack eines Schiffs. Seine Augen behielten ihren eigenen verhärmten Blick bei, und seine Rechte fummelte auf eine Weise an seinem Ehering, die das Fehlen der zwei Finger geradezu herausstellte. »Na«, brabbelte er nach einem Weilchen ins Murmeln seiner Begleiter, »die Riesen müssen ja stolz auf euch sein.« Sein Ton war zweideutig, als versuche er zwei gegensätzliche Dinge zugleich auszusprechen. Aber seine Erwähnung der Riesen überschattete augenblicklich alles, was er anderes gemeint haben mochte.
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