Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
Betragen verrieten keine inneren Aufwallungen, keine innerlichen Regungen. Doch der Eifer, mit dem sie über Elena, Covenant und Amok wachten, zeichnete sich durch eine gewisse Klarheit und Hingebung aus.
Elena und Covenant waren nicht so immun gegen die Kälte. Ihre Anfälligkeit blieb ihnen hartnäckig erhalten, flößte ihnen Sehnsucht nach ihrem südwärtigen Vorrücken jedes neuen Tages ein, mit dem sie in lauere Gegenden gelangten. Aber ihre Decken und zusätzlichen Kleidungsstücke spendeten ihnen Wärme. Der Hoch-Lord litt allem Anschein nach unter keinen ernsteren Unannehmlichkeiten. Und solange Elena nicht litt, verspürte Covenant kein Leid. Unerfreuliches konnte er ignorieren. Zur Zeit hatte er mehr Frieden als seit langem. Nachdem sie Trothgard verlassen hatten – seit jener Entdeckung, die ihn dazu befähigte, Elena zu lieben, ohne sich selbst verachten zu müssen –, war alles andere aus seinen Gedanken verdrängt worden, und er konzentrierte sich voll auf seine Tochter. Lord Foul, das Kriegsheer, auch diese Suche nach dem Siebten Kreis des Wissens, das alles war für ihn substanzlos. Er behielt Elena im Auge, lauschte ihren Äußerungen, blieb sich ihrer Gegenwart ständig bewußt. Wenn sie sich in der Stimmung zum Reden befand, stellte er ihr interessiert Fragen, und wenn nicht, bewahrte er Schweigen. Unabhängig von ihrer Laune war er ihr dankbar, tief gerührt durchs Angebot, das sie gemacht und das er abgelehnt hatte.
Er konnte sich allerdings nicht der Tatsache verschließen, daß sie damit nicht gleichermaßen zufrieden war wie er. Sie hatte ihren Vorschlag nicht unüberlegt vorgetragen, und nun wirkte sie, als sei seine Ablehnung ihr unbegreiflich. Aber der Kummer, den es ihm verursachte, ihr Schmerz bereitet zu haben, erhöhte lediglich das Maß seiner ihr entgegengebrachten Aufmerksamkeit. Er widmete sich ihr, wie nur ein Mensch, der mit der Einsamkeit eingehender vertraut war, es konnte. Und sie war dem gegenüber nicht blind. Nach den ersten paar Tagen in den Bergen war sie in seiner Nähe wieder entkrampfter, und ihr Lächeln spiegelte eine Offenheit der Zuneigung wider, die sie sich vorher nicht gestattet hatte. Danach fühlte er sich mit ihr in harmonischem Verhältnis und begleitete sie aufrichtig gern. Manchmal zirpte er seinem Pferd einige Laute zu, als ob es ihm plötzlich Vergnügen mache, zu reiten.
In den nächsten Tagen vollzog sich jedoch eine allmähliche Änderung an Elena – eine Veränderung, die nicht mit ihm im Zusammenhang stand. Mit der Zeit – indem sie sich dem geheimen Hort näherten, wo der Siebte Kreis des Wissens verborgen lag – befaßte sie sich immer intensiver mit dem Zweck der Expedition. Sie fragte Amok häufiger aus, befragte ihn eindringlicher. Ab und zu konnte Covenant in der Abseitsgerichtetheit ihres Blicks erkennen, daß sie an den Krieg dachte – an ihre damit verbundenen Pflichten, denen sie vorübergehend den Rücken gekehrt hatte –, und dann und wann klangen in ihrer Stimme Ansätze zur Ungeduld heraus, wenn sie versuchte, auf die Frage zu stoßen, die Amoks geheimnisvolles Wissen erschloß. Das war eine Last, die zu tragen Covenant ihr nicht zu helfen vermochte. Er kannte selbst keinerlei entscheidende Tatsachen. Die Tage verstrichen, der Mond wuchs zu seinem vollen Rund an, nahm wieder ab und schmolz seinem letzten Viertel entgegen, aber sie erzielte keine Fortschritte. Schließlich bewog Covenants Wunsch, sie irgendwie zu unterstützen, ihn zu einem Gespräch mit Bannor. Auf sonderbare Weise fühlte er sich mit dem Bluthüter unsicher – nicht faktisch, sondern emotional. Zwischen ihm und Bannor existierte eine Spannung der Ungleichheit. Der steinharte Blick des Haruchai erzeugte die herrische Aura eines Mannes, der sich nicht dazu herabließ, seinen Mitmenschen sein Urteil über sie zu verraten. Und Covenant sah andere Gründe zum Unbehagen in Bannors Gegenwart. Mehr als einmal hatte Bannor den ersten Ausbruch seiner sinnlosen Wut erdulden müssen. Aber er konnte sich an sonst niemanden wenden. Er war für Elena vollkommen nutzlos. Seit den Tagen in Schwelgenstein war ihm eine sehr feine Schattierung einer Diskrepanz in der Einstellung des Bluthüters zu Amok aufgefallen – einer Diskrepanz, die sich in Schwelgenholz verstärkt hatte, ohne erklärt zu werden. Zunächst wußte er jedoch nicht, wie er das Thema anschneiden sollte. Erfahrungsgemäß war es äußerst schwierig, Bannor irgendwelche Informationen aus der Nase zu ziehen;
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