Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
hilflos und blutig neben seinem Kaffeetisch auf dem Fußboden lag. Schwach tastete er nach dem Telefonhörer und hoffte, Joan habe noch nicht aufgelegt.
Aber da erkannten seine unsicheren Finger die Eigenschaften von hartem Stein. Mit einem erstickten Stöhnen sprang er in der Mitternacht unterm Melenkurion Himmelswehr auf die Füße.
Sofort flammte der Stab des Gesetzes auf. In seinem blauen Schein erhob sich Elena, um ihren freien Arm um ihn zu legen und ihn an sich zu drücken. »Geliebter«, rief sie gedämpft. »Ach, Geliebter! Halte aus! Ich bin da.«
Er schmiegte sich sehnsüchtig an sie, vergrub sein Gesicht in ihr herrliches Haar, bis seine Qual wich, er sich wieder in der Gewalt hatte. Dann löste er sich langsam von ihr. Er versuchte, seine Dankbarkeit mit einem Lächeln zum Ausdruck zu bringen, aber es mißlang und sprang in seinem Gesicht in Stücke.
»Wo sind wir?« erkundigte er sich mit heiserer, harscher Stimme.
»Wir befinden uns im Stollen des Nahseins«, antwortete hinter ihm Amok in hellen Tönen. »Bald werden wir zur Erdwurzelstiege gelangen.«
»Wie ...« Covenant unternahm einen Versuch, seinen Kopf zu klären. »Wie spät ist es?«
»Unterm Melenkurion Himmelswehr besitzt die Zeit kein Maß«, erwiderte der Junge ungerührt.
»Oh, verflucht noch mal«, ächzte Covenant, als er das Echo in Amoks Entgegnung hörte. Zu oft war ihm schon gesagt worden, das Weißgold sei der entscheidende Faktor des Bogens der Zeit.
Elena gab ihm Auskunft. »Die Sonne ist aufgegangen, und nun ist's des Vormittags Mitte«, sagte sie. »Heute ist der dreiunddreißigste Tag seit unserem Aufbruch von Schwelgenstein.« Sie äußerte eine nachträgliche Feststellung. »Heute nacht ist des Mondes Dunkel.«
Mondwechsel , dachte Covenant voller bissigem Sarkasmus. Habt Erbarmen mit mir. Bei Mondwechseln pflegte er gräßliche Dinge zu erleben. Urböse hatten die Flammengeister Andelains überfallen ... Atiaran hatte ihm das nie verziehen.
Anscheinend vermachte der Hoch-Lord ihm seine Gedanken vom Gesicht abzulesen. »Geliebter«, sagte Elena ruhig, »sei nicht so überzeugt vom Verhängnis.«
Damit wandte sie sich ab und begann mit der Zubereitung eines kärglichen Mahls.
Während er ihr zuschaute – dabei sah er die Entschlossenheit, den persönlichen Einsatz, welche auch ihre Erledigung der schlichtesten, alltäglichsten Verrichtungen auszeichneten –, biß Covenant die Zähne aufeinander und bewahrte das für seinen Handel unverzichtbare Schweigen.
Er konnte das Essen kaum verzehren, das sie ihm reichte. Die Anstrengung, die das Schweigen ihm abverlangte, bereitete ihm Übelkeit; das Unterdrücken der passiven Lüge schien ihm die Eingeweide zu verknoten, jede Verdauung unmöglich zu machen. Doch er litt starken Hunger. Um seiner Entkräftung entgegenzuwirken, aß er ein wenig von dem trockenen Brot, vom Käse und Räucherfleisch. Den Rest gab er Elena zurück. Fast war er erleichtert, als sie Amok weiter in die Dunkelheit folgte. Stumpfsinnig schloß er sich an.
Irgendwann im Laufe des Vortags hatte der Hoch-Lord mit seiner Begleitung den ›Empfangssaal‹ verlassen. Nun marschierten sie einen breiten Tunnel ohne erkennbare Merkmale hinunter, der einer Straße durchs Gestein glich. Elenas Licht erhellte ohne Umstände die Decke und Wände. Die Oberflächen waren auffällig glatt, als wären sie über lange Zeiträume hinweg durch die Schleiftätigkeit irgendeines harten, kraftvollen Etwas geglättet worden. Diese Glätte ließ den Tunnel wie ein Rohr oder eine Ader wirken. Covenant mißtraute ihm; halb rechnete er damit, jeden Moment könne dicke, lavaähnliche Jauche ihnen entgegenströmen. Er spielte unterwegs nervös mit seinem Ring, als wäre dieser kleine Reif das Kontrollgerät seiner Selbstbeherrschung.
Elena beschleunigte ihren Schritt. Selbst von hinten sah er ihr an, daß ihr immer stärkeres Verlangen nach der Macht des Gebots es war, was sie vorwärts trieb.
Endlich endete auch der Tunnel. Sein Verlauf mündete links mit enger Biegung in ein Rund, während sein rechter Wall völlig verschwand, einem neuen Felsspalt wich. Dieser Einschnitt weitete sich nach einem kurzen Stück zu einem unübersehbaren Abgrund aus. Der steinerne Boden des Straßentunnels verengte sich rechts, bis seine Breite kaum noch drei Meter betrug, ging dann über in die grob gearbeiteten Stufen einer Wendeltreppe. Binnen weniger Augenblicke befanden sich der Hoch-Lord und seine Begleitung auf dieser Treppe, die
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