Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
weniger fähig war als jeder andere im Land. Und er fühlte noch stark Elenas Einfluß. Er neigte dazu, nichts zu unternehmen, was sie verärgern könnte, nichts zu tun, das ihr zusätzlichen Anlaß böte, ihm zu grollen. Er war innerlich gespalten; er vermochte die offene Frage in Hyrims Blick nicht zu beantworten.
Auf einmal füllten sich die Augen des Lords mit Tränen. Er schaute zur Seite und blinzelte rasch. »Ich habe dir Seelenpein bereitet, Ur-Lord«, sagte er gedämpft. »Verzeih mir.« Covenant hatte mit Ironie gerechnet, Kritik in den Worten des Lords erwartet, aber Hyrims Tonfall drückte nur schlichtmütige Trauer aus. Als er sich wieder Covenant zuwandte, bemühten sich seine Lippen um ein lahmes Lächeln. »Nun wohl. Wirst du mich also zumindest hinab in den Hof begleiten? Die Einsatzmannschaft wird sich alsbald dort zusammenfinden, um aufzubrechen. Deine Gegenwart wird ganz Schwelgenstein bekunden, daß du nicht aus Unwissenheit, sondern aus freier Entscheidung handelst.«
Dem konnte Covenant sich schwerlich verschließen; er schämte sich seiner grundlegenden Handlungsunfähigkeit zu sehr, war durch sie zu erbittert. Ruckartig setzte er sich in Bewegung und verließ seine Suite. Sofort bemerkte er Bannor an seinem Ellbogen. Zwischen dem Bluthüter und dem Lord schritt er durch die Säle und Gänge hinab zu den Toren Schwelgensteins. Es gab nur einen Zugang zur Herrenhöh, und den hatten die Riesen wohlüberlegt gebaut, um der Stadt die bestmöglichen Abwehrmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. An der Keilspitze des Plateaus hatten sie den Stein ausgehöhlt, um einen Hof zwischen dem Felsgebirge der Festungsstadt und dem Festungsturm, der die Zugangstore schützte, zu schaffen. Das äußere Tor – gewaltige, aufeinander abgestimmte Steinplatten, die einwärts geschwungen werden konnten, um den Eingang restlos zu versperren – führte in einen Tunnel unterm Turm. Dieser Tunnel mündete in den Hof. Der Zugang vom Hof zur Festung war durch ein zweites derartiges Tor gesichert, so wuchtig und fest wie das äußere Tor. Die Festung war mit dem Turm durch eine Anzahl hölzerner Brücken verbunden, die sich in regelmäßigen Höhenabständen über den Hof erstreckten; den einzigen Zugang zum Turm ermöglichten in Bodenhöhe zwei enge Pforten an den Seiten des Tunnels. Somit mußte jeder Feind, der die nahezu unbewältigbare Tat vollbrachte, das äußere Tor zu durchstoßen, anschließend angesichts des inneren Tors erneut vorm gleichen Problem stehen, während er sich sowohl vom Turm wie auch von den Festungsmauern herab Angriffen ausgesetzt sah. Der Hof war gepflastert, außer an seinem Mittelpunkt, wo ein uralter Güldenblattbaum aufragte, genährt durch ein Springbrünnlein mit frischem Wasser.
Lord Hyrim, Bannor und Covenant trafen den Rest der Einsatztruppen unter diesem Baum an, während das Dunkel vom Himmel wich. Die Morgendämmerung hatte begonnen. Covenant fröstelte in der ziemlich kühlen Morgenluft und schaute sich im Hof um. Im Lichtschein, der aus dem Innern der Festungsstadt drang, sah er, daß alle Personen im Umkreis des Baums Bluthüter waren, ausgenommen ein Lord, eine hochgewachsene Frau. Sie stand Schwelgenstein zugekehrt; Covenant konnte sie deutlich sehen. Sie hatte harsches, eisengraues Haar, das sie kurzgeschnitten trug; ihr Gesicht erinnerte an einen Falken – hohlwangig, aber mit einem scharfen Nasenrücken und sehr scharfen Augen. In diesen Augen war ein Glitzern wie im Jagdblick eines Falken. Hinter diesen Funken glaubte Covenant jedoch etwas zu erkennen, das wie der Schmerz eines Verlangens wirkte, einer Sehnsucht, die sich weder erfüllen noch unterdrücken ließ. Lord Hyrim grüßte sie kameradschaftlich, aber sie beachtete ihn nicht, sondern starrte nur in die Festung, als könne sie es nicht ertragen, sie zu verlassen. Im Hintergrund verteilten die Bluthüter emsig Packlasten, bündelten ihre Vorräte und befestigten sie mit Clingor -Strängen auf ihren Rücken, so daß sie ihre Bewegungsfreiheit bewahrten. Bald darauf kam einer von ihnen herüber – Covenant erkannte Korik – und meldete Lord Hyrim, er sei bereit. »Bereit, Freund Korik?« Hyrims Stimme klang spritzig. »Ach, vermöchte ich doch von mir Gleiches zu behaupten! Aber ich bin – bei der Sieben! – kein Mann, der sich für große Gefahren eignet – ich kann besser Siege feiern als welche erringen. Ja, das ist's, wozu ich begabt bin. Kämst du, um mir einen Sieg zu vermelden, ich wollte ihn
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