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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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oder? Bleib ein Weilchen. Du wirst schon sehen.« Und er ging zwischen Petersilie und Staudenbohnen den Weg entlang. Sie sah den Türhüter an; er lächelte verhalten. Sie folgte dem Mann mit den hellen Haaren.
    Sie gingen etwa eine halbe Meile. Rechts von ihnen erhob sich der Kogel in der Sonne, die im Westen stand. Hinter ihnen erstreckte sich grau und mit vielen Dächern die Schule auf dem flacheren Hügel. Vor ihnen ragte nun der Hain auf. Sie sah Eichen und Weiden, Kastanien und Eschen und hohe Nadelbäume. Aus der dichten, sonnendurchfluteten Dunkelheit der Bäume floß ein Bach mit grünen Ufern und vielen braunen, abgetretenen Stellen, wo Rinder und Schafe zur Tränke gingen oder ihn überquerten. Sie waren von einer Wiese durch den Zauntritt gekommen, wo fünfzig oder sechzig Schafe in dem kurzen, hellen Grün grasten, und standen nun am Bach. »Dieses Haus«, sagte der Magier und zeigte auf ein flaches, moosbewachsenes Dach, das von dem nachmittäglichen Schatten der Bäume vor Blicken verborgen wurde. »Bleib heute nacht. Ja?«
    Er bat sie, zu bleiben, er befahl es ihr nicht. Sie konnte nur nicken.
    »Ich bringe etwas zu essen«, sagte er und ging mit schnellen Schritten, so daß er bald, wenn auch nicht so unvermittelt wie der Namengeber, in Licht und Schatten unter den Bäumen verschwand. Irian sah ihm nach, bis er ganz sicher fort war, dann ging sie durch hohes Gras und Unkraut zu dem kleinen Haus.
    Es sah sehr alt aus. Es war sichtlich immer wieder ausgebessert worden, aber in letzter Zeit wohl nicht mehr. Und es machte den Eindruck, als hätte auch lange niemand mehr darin gewohnt. Aber es hatte eine angenehme Atmosphäre, als hätten alle, die darin geschlafen hatten, friedlich geschlafen. Was altersschwache Wände, Mäuse, Spinnweben und karges Mobiliar betraf, das alles war Irian nicht neu. Sie fand einen Reisigbesen und fegte ein wenig aus. Sie rollte ihre Decke auf dem Pritschenbett aus. Sie fand einen gesprungenen Krug in einem Schrank mit schiefen Türen und füllte ihn mit Wasser aus dem Bach, der zehn Schritte von der Tür entfernt klar und leise floß. Das alles erledigte sie in einer Art von Trance, und als sie es erledigt hatte, setzte sie sich mit dem Rücken zur Hauswand, die die Wärme der Sonne speicherte, ins Gras und schlief ein.
    Als sie aufwachte saß Meister Formgeber neben ihr, und ein Korb stand zwischen ihnen im Gras.
    »Hungrig? Iß«, sagte er.
    »Ich esse später, Sir. Danke«, sagte Irian.
    »Ich bin jetzt hungrig«, sagte der Magier. Er holte ein gekochtes Ei aus dem Korb, schlug es auf, schälte und aß es.
    »Sie nennen es das Otternhaus«, sagte er. »Sehr alt. So alt wie das Großhaus. Alles ist alt hier. Wir sind alt - die Meister.«
    »Sie nicht«, sagte Man. Sie schätzte sein Alter auf dreißig bis vierzig, aber das war schwer zu sagen; sie nahm an, daß sein Haar weiß war, weil es nicht schwarz war.
    »Aber ich komme von weit her. Meilen können Jahre sein. Ich bin Kargisch aus Karego. Kennst du das?«
    »Die Eisgrauen Männer!« sagte Irian und starrte ihn unverhohlen an. Daisys Balladen von den Eisgrauen Männern, die aus dem Osten gesegelt kamen, um das Land in Schutt und Asche zu legen und unschuldige Babys auf ihren Lanzen aufzuspießen, und die Geschichte, wie Erreth-Akbe seinen Ring des Friedens verloren hatte, und die neuen Lieder und die Geschichte des Königs darüber, wie der Erzmagier Sperber zu den Eisgrauen Männern hinabgestiegen und mit dem Ring zurückgekommen war -
    »Eisgrau?« fragte der Formgeber.
    »Frostig. Weiß«, sagte sie und wandte sich verlegen ab.
    »Ah.« Dann sagte er: »Der Meister Gebieter ist nicht alt.« Und sie bemerkte einen schiefen Blick aus diesen schmalen, eisfarbenen Augen.
    Sie sagte nichts.
    »Ich glaube, du hast Angst vor ihm gehabt.«
    Sie nickte.
    Als sie nichts sagte und einige Zeit vergangen war, sagte er: »In den Schatten dieser Bäume gibt es kein Leid. Nur Wahrheit.«
    »Als er an mir vorüberging«, sagte sie mit leiser Stimme, »habe ich ein Grab gesehen.«
    »Ah«, sagte der Formgeber.
    Er machte aus den Eierschalen ein kleines Häufchen auf dem Boden neben seinem Knie. Er legte die weißen Bruchstücke zu einer Rundung und schloß sie zu einem Kreis. »Ja«, sagte.er, studierte die Eierschalen, kratzte die Erde ein wenig auf und vergrub sie fein säuberlich. Er klopfte die Hände ab. Wieder streifte er Irian mit einem kurzen Blick.
    »Bist du eine Hexe gewesen, Irian?«
    »Nein.«
    »Aber du besitzt etwas

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