Der siebte Schrein
bevor Krankheit seiner Regentschaft ein Ende bereitete, und er machte sich große Hoffnungen, daß mein Vater seine Nachfolge antreten würde, aber als mein Vater gestorben war, mußte Godric mitansehen, wie statt dessen ein Mann einer anderen Familie auserkoren wurde, Speer und Standarte zu tragen. Von diesem Tage an schien für meinen Großvater alles, was in der Welt geschah, nur ein weiterer Beweis dafür zu sein, daß die besten Tage Erkynlands und der Seenvölker vorbei waren.
Godric starb vor Vollendung meines siebenten Lebensjahres, aber er machte die Jahre zwischen dem Tod meines Vaters und seinem eigenen zu sehr unglücklichen Jahren für meine Mutter, mit vielen Klagen und scharfen Tadeln wegen der Art und Weise, wie sie den Haushalt führte und Aelfric und mich erzog, die beiden einzigen Kinder seines toten Sohnes. Mein Großvater verbrachte viel Zeit mit Aelfric und versuchte, einen Mann aus ihm zu machen, der Speer und Standarte in unsere Familie zurückholen konnte, aber mein Bruder war klein und verschüchtert - es muß klar gewesen sein, daß er niemals mehr regieren würde als seinen eigenen Haushalt. Daran gab Godric meiner Mutter die Schuld. Er warf ihr vor, sie hätte den Jungen auf weibische Weise erzogen.
Für mich interessierte sich Großvater weniger. Er war niemals grausam zu mir, nur brüsk und wortkarg, aber mit seinem weißen Vollbart, der knurrenden Stimme und mehreren fehlenden Fingern war er eine derart furchteinflößende Gestalt, daß ich nie anders konnte, als vor ihm zurückzuschrecken. Wenn auch das ein Grund dafür war, daß er so wenig Freude am Leben fand, so tut es mir heute leid.
Wie auch immer, die Witwenschaft meiner Mutter war eine traurige, bittere Zeit für sie. Nachdem sie Herrin ihres eigenen Hauses und Frau des Großthans gewesen war, war sie nun nichts weiter als eine von drei erwachsenen Töchtern im Haus eines galligen alten Mannes, denn eine Schwester meines Vaters hatte ebenfalls ihren Mann verloren, und die jüngste hatte man unverheiratet im Haus behalten, damit sie für ihren Vater an seinem Lebensabend sorgen konnte.
Wenn auch nur der bescheidenste Fischer meiner Mutter den Hof gemacht hätte, hätte sie ihn, wie ich glaube, mit Wohlwollen betrachtet, solange er ein eigenes Haus und keine lebenden Verwandten gehabt hätte. Aber statt dessen kam ein Mann, der die gesamte Ära erzittern ließ, und sprach vor.
»Wie war er?« fragte mich Tellarin einst. »Erzähl mir von deinem Stiefvater.«
»Er ist dein Herr und Gebieter.« Ich lächelte. »Was kann ich dir erzählen, das du nicht schon weißt?«
»Erzähl mir, was er sagt, wenn er in seinem Haus ist, an seinem Tisch, was er macht.« Da sah mich Tellarin an, und plötzlich war sein längliches Gesicht jungenhaft und überrascht. »Ha! Es kommt mir wie ein Sakrileg vor, allein solche Gedanken zu haben!«
»Er ist nur ein Mann«, sagte ich ihm und verdrehte die Augen. Was für alberne Empfindungen Männer gegenüber anderen Männern haben - daß dieser so groß und wichtig ist, und sie selbst so klein! »Er ißt, er schläft, er läßt Winde fahren. Als meine Mutter noch lebte, sagte sie, daß er mehr Platz im Bett brauchte als drei andere, weil er um sich schlug und im Schlaf sprach.« Ich stellte meinen Stiefvater mit Absicht so gewöhnlich dar, weil es mir nicht gefiel, wenn sich Tellarin für ihn ebensosehr zu interessieren schien wie für mich.
Da wurde mein Nabbanaisoldat ernst. »Wie es ihn bekümmert haben muß, als deine Mutter starb. Er muß sie sehr geliebt haben.«
Als ob es mich nicht bekümmert hätte! Ich widerstand dem Drang, wieder die Augen zu verdrehen, und sagte ihm statt dessen mit der ganzen Überzeugung der Jugend: »Ich glaube, daß er sie überhaupt nicht geliebt hat.«
Meine Mutter hat einmal gesagt, als mein Stiefvater und sein Hausstand zum erstenmal über die Wiesen nach Norden zum Königsee geritten kamen, sei es so gewesen, wie wenn die himmlischen Heerscharen selbst auf die Erde herabgekommen wären. Trompeten verkündeten ihre Ankunft und lockten aus allen Städten Leute an, als ob sie eine vorbeiziehende Pilgerschar oder die Prozession der Reliquien eines Heiligen betrachteten. Rüstungen und Lanzen der Ritter waren poliert, bis sie glänzten, und der Reiher im Wappen ihres Herrn prangte in Goldfäden auf allen großen Bannern. Selbst die Pferde der Männer aus Nabban waren größer und stolzer als unsere armseligen erkynländischen Ponys. Der kleinen Armee
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