Der siebte Schrein
Stationsmeister und nickte mit mißbilligend gerunzelter Stirn. »Ich hab ihn vor einer Stunde oder so runter zur Tierstallung laufen sehen. Ich habe ihn persönlich davor gewarnt, die Wege zu benutzen, aber er sagte, er spart dabei eine halbe Stunde, und außerdem führt er ein Ex-pe-ri-ment durch.«
»Er hätte mich umbringen können«, sagte sie, und jetzt war sie richtig wütend.
»Das solltest du ihm sagen. Vielleicht gelingt es einer hübschen Läuferin, durch seinen Dickschädel zu dringen, denn dem einen oder anderen kräftigen Schlag ist es nicht gelungen.«
Seine Reaktion gab Tenna das Gefühl, daß ihre Wut berechtigt war. Wütend zu sein ist gut und schön, aber es ist viel besser, bestätigt zu bekommen, daß man ein Recht hat, wütend zu sein. Sie fühlte sich versöhnt. Auch wenn sie nicht einsehen konnte, warum es einen Vorteil bedeutete, hübsch zu sein, wenn man jemandem eine reinhauen wollte. Sie konnte so fest zuschlagen wie der häßlichste Läufer, dem sie je begegnet war.
»Du brauchst ein ausgiebiges Bad, wenn du Stichlingsbuschdornen in dir hast. Du hast doch etwas dabeigehabt, um die Wunden gleich zu versorgen, oder nicht?« Als sie ein wenig ärgerlich nickte, weil er anzunehmen schien, sie hätte dafür nicht genug Verstand, fügte er hinzu: »Ich kann dir meine Frau schicken, damit sie sich deine Verletzungen ansieht. Falsche Zeit des Planetenumlaufs, um in Stichlingsbusch zu fallen, weißt du.« Sie nickte heftig mit dem Kopf. »Alles in allem hast du eine gute Zeit von Zwei-Null-Acht hierher geschafft«, fügte er anerkennend hinzu. »Das gefällt mir bei einer jungen Läuferin. Zeigt, daß du nicht nur ´n hübsches Gesicht hast. Jetzt geh die Treppe rauf, erste rechts, den Flur entlang, vierte Tür links. Sonst ist niemand oben. Handtücher sind auf den Regalen. Laß deine Kleider da, bis zum Abend werden sie gewaschen und getrocknet sein. Du möchtest nach dem Nachtlauf sicher gut essen und dann lange schlafen. Wir können dir beides bieten, Läuferin.«
Sie dankte ihm, ging zur Treppe und versuchte, die Holzklötze, zu denen ihre Füße geworden waren, die Stufen hinaufzuschleppen. Sie schleifte die Zehen beim Gehen nach und war dankbar für den Teppich, der die Holztreppe vor ihren Spikes schützte. Aber andererseits war dies ein Haus für Läufer, mit Schuhen, Spikes und allem.
»Vierte Tür«, murmelte sie bei sich und drückte gegen ein Portal, das zum geräumigsten Badezimmer führte, das sie je gesehen hatte. Und es duftete nach etwas angenehm Strengem. Etwas derart Großartiges hatten sie nicht einmal in der Burg Keroon. Fünf Wannen, die man mit Vorhängen abtrennen konnte, wenn man es intimer haben wollte, standen in einer Reihe an der hinteren Wand. Es gab zwei klobige, gepolsterte Massagetische mit Regalen voll Ölen und Salben darunter. Sie waren wohl für die angenehmen Gerüche verantwortlich. Es war warm in dem Raum, und Tenna fing wieder an zu schwitzen, woraufhin ihre Schürfwunden und Kratzer zu jucken begannen. Rechts von der Tür waren Umkleidekabinen . . . und hinter sich fand sie große Badetücher in Stapeln, die bis über ihren Kopf reichten, und sie war nicht gerade klein. In Schränkchen gab es Läuferhosen und Hemden für jede Witterung sowie die dicken Knöchelschoner, die müde Füße polsterten und wärmten. Sie nahm ein Handtuch und fühlte den weichen, dicken Frotteestoff mit den Fingern. Es war so groß wie eine Decke.
In der Kabine bei den Wannen schlüpfte sie aus ihren Sachen und legte sie automatisch zu einem ordentlichen Stapel zusammen. Dann hängte sie das Handtuch über einen Haken, der zu diesem Zweck neben der Wanne angebracht worden war, und ließ sich in das warme Wasser sinken. Die Wanne war größer als sie selbst, und als sie sich auf den Boden niederließ, hatte sie eine volle Handbreit Wasser über dem Kopf. Erstaunlich!
Dies war der reine Luxus! Sie fragte sich, wie oft sie einen Lauf nach Burg Fort ziehen konnte. Das Wasser biß in ihren Kratzwunden, aber das war nichts im Vergleich zu der Wohltat für ihre verkrampften Muskeln. Sie wälzte sich in der großen Wanne herum, als ihre Hand einen leicht abgerundeten Sims ertastete, der sich wenige Zentimeter unter der Oberfläche befand. Sie mußte grinsen, als sie begriff, daß sie ihren Kopf darauf legen und dann einfach im Wasser schweben konnte. Und genau das machte sie auch, Arme an den Seiten, Beine baumelnd. Sie hatte nicht gewußt, daß Baden so . . . so grandios sein
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