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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Ersatz. Er sah zu dem Medaillon, das im letzten Lichtschein glänzte, und leistete einen letzten Schwur für John Norman: Er würde es zusammen mit dem anderen zu Normans Familie bringen, wenn Ka wollte, daß er im Lauf seiner Reise auf sie stieß.
    Der Revolvermann döste und fühlte sich zum erstenmal an diesem Tag wirklich unbeschwert. Als er erwachte, war es dunkel. Die Ärzte-Käfer sangen ungewöhnlich schrill. Er hatte einen der Halme unter dem Kissen hervorgeholt und knabberte daran, als eine kalte Stimme sagte: »Aha - die Große Schwester hat recht gehabt. Du hast Geheimnisse vor uns.«
    Roland schien das Herz in der Brust stehenzubleiben. Er drehte sich um und sah Schwester Coquina, die sich aufrichtete. Sie hatte sich hereingeschlichen, während er döste, und sich unter dem Bett rechts neben ihm versteckt, um ihn zu beobachten.
    »Woher hast du das?« fragte sie. »War es -«
    »Er hat es von mir.«
    Coquina wirbelte herum. Jenna kam den Mittelgang entlang auf sie zu. Sie hatte ihre Tracht abgelegt. Die Haube mit dem Band der Glöckchen an der Stirn trug sie noch, aber ihr Saum ruhte auf den Schultern eines schlichten karierten Hemdes. Darunter trug sie Jeans und zerkratzte Wüstenstiefel. Sie hielt etwas in der Hand. Es war so dunkel, daß Roland es nicht deutlich sehen konnte, aber er glaubte -
    »Du«, flüsterte Schwester Coquina, von grenzenlosem Haß erfüllt. »Wenn ich das der Großen Schwester sage -«
    »Du wirst niemandem etwas sagen«, sagte Roland.
    Hätte er seine Flucht aus den Schlingen, die ihn gefangenhielten, geplant, wäre es zweifellos zu einer Katastrophe gekommen, aber der Revolvermann machte wie immer seine Sache am besten, wenn er am wenigsten nachdachte. Er hatte die Arme binnen eines Augenblicks befreit; ebenso sein linkes Bein. Aber mit dem rechten verfing er sich am Knöchel, so daß es sich verdrehte und er sich mit den Schultern auf dem Bett befand und mit dem Bein in der Luft hing.
    Coquina drehte sich zischend wie eine Katze zu ihm um. Sie fletschte die Lippen und entblößte Zähne, die spitz wie Nadeln waren. Sie rannte mit gespreizten Fingern auf ihn zu. Die Nägel an den Enden sahen scharf und gezackt aus.
    Roland packte das Medaillon und hielt es ihr entgegen. Sie schrak, immer noch zischend, davor zurück und wirbelte mit einem Rauschen weißer Röcke zu Schwester Jenna herum. »Dir werd ich´s zeigen, du unruhestiftende Hure!« schrie sie mit tiefer, schroffer Stimme.
    Roland bemühte sich, sein Bein zu befreien, konnte es aber nicht. Es hing fest in der beschissenen Schlinge, in der sich sein Knöchel irgendwie verstrickt zu haben schien.
    Jenna hob die Hände, und Roland sah, daß er recht gehabt hatte: Sie hatte seine Revolver mitgebracht, in den Holstern an den beiden alten Revolvergurten, die er nach dem letzten Brand aus Gilead mitgenommen hatte.
    »Erschieß sie, Jenna! Erschieß sie!«
    Statt dessen schüttelte Jenna, die immer noch die Revolvergurte hochhielt, nur den Kopf, wie an dem Tag, als Roland sie überredet hatte, ihre Haube abzunehmen, damit er ihr Haar sehen konnte. Die Glöckchen läuteten so schrill, daß sich das Geräusch wie ein Dorn in den Kopf des Revolvermanns zu bohren schien.
    Die Dunklen Glocken. Das Sigul ihres Ka-tet. Was -
    Das Geräusch der Ärzte-Käfer schwoll zu einem schrillen, pfeifenden Schrei an, der unheimliche Ähnlichkeit mit dem Klingeln der Glöckchen hatte, die Jenna trug. Nun hatten sie nichts Liebliches mehr an sich. Schwester Coquinas Hände, die sich um Jennas Kehle legen wollten, begannen zu zittern; Jenna selbst war nicht einmal zusammengezuckt, noch hatte sie geblinzelt.
    »Nein«, flüsterte Coquina. »Das kannst du nicht tun!«
    »Ich habe es getan«, sagte Jenna, und da sah Roland die Käfer. Als sie von den Beinen des bärtigen Mannes heruntergeklettert waren, hatte Roland ein Bataillon gesehen. Was nun aus den Schatten herauskam, war die größte aller Armeen; wären es Männer statt Insekten gewesen, hätten es gut und gerne mehr sein können als alle Männer zusammen, die in der langen und blutigen Geschichte von Mittwelt jemals Waffen getragen hatten.
    Aber es war nicht der Anblick, wie sie auf den Dielen des Mittelgangs heranrückten, an den Roland sich immer erinnern und der ihn ein Jahr oder länger in seinen Alpträumen heimsuchen würde; es war die Art und Weise, wie sie die Betten bedeckten. Sie wurden schwarz auf beiden Seiten des Mittelgangs, immer zwei auf einmal, wie trübe rechteckige Lichter,

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