Der siebte Schrein
was passieren wird!«
»Nein, und ihr auch nicht«, sagte Jenna. »Außerdem ist es mir egal.« Sie wandte sich halb ab und streckte die Hand zum Eingang des uralten Lazarettzelts aus. Im Mondschein hatte es einen verblaßten Olivfarbton, ein altes rotes Kreuz war auf das Dach gemalt. Roland fragte sich, wie viele Städte die Schwestern mit diesem Zelt besucht hatten, das von außen so klein und schlicht und von innen so riesig und grandios wirkte. Wie viele Städte in wie vielen Jahren?
Nun drängten sich die Ärzte-Käfer am Mund der Zelttür wie eine schwarze, glänzende Zunge. Sie hatten aufgehört zu singen. Ihr Schweigen war irgendwie schrecklich.
»Geht beiseite, oder ich hetze sie auf euch«, sagte Jenna.
»Das würdest du nicht tun!« rief Schwester Michela mit leiser, erschrockener Stimme.
»Aye. Ich habe sie schon auf Schwester Coquina losgelassen. Sie ist jetzt Bestandteil ihrer Medizin.«
Ihr Stöhnen war wie ein kalter Wind, der durch abgestorbene Bäume weht. Und das Mißbehagen galt nicht nur ihrer eigenen Haut. Was Jenna getan hatte, war eindeutig völlig unvorstellbar für sie.
»Dann bist du verdammt«, sagte Schwester Tamra.
»Solche eures Schlags sollten nicht von Verdammnis sprechen! Geht beiseite!«
Sie gehorchten. Roland ging an ihnen vorbei, und sie wichen vor ihm zurück . . . aber vor ihr wichen sie mehr zurück.
»Verdammt?« fragte er, als sie die Hazienda umrundet und den Pfad dahinter erreicht hatten. Der Kußmond leuchtete über einem wilden Geröll von Felsbrocken. In seinem Licht konnte Roland eine kleine schwarze Öffnung tief unten am Hang erkennen. Er vermutete, daß es die Höhle war, die die Schwestern Haus der Besinnung nannten. »Was haben sie damit gemeint, verdammt?«
»Vergiß es. Wir müssen uns jetzt nur um Schwester Mary Sorgen machen. Mir gefällt nicht, daß wir sie nicht gesehen haben.«
Sie versuchte, schneller zu gehen, aber er packte sie am Arm und drehte sie um. Er konnte immer noch die Käfer singen hören, aber leise; sie ließen die Heimat der Schwestern hinter sich. Und Eluria auch, wenn der Kompaß in seinem Kopf noch richtig funktionierte; er glaubte, daß die Stadt in der anderen Richtung lag. Die leere Hülle der Stadt, verbesserte er sich.
»Sag mir, was sie gemeint haben.«
»Vielleicht nichts. Frag mich nicht, Roland - was würde es nützen? ´s ist geschehen, die Brücke ist verbrannt. Ich kann nicht zurück. Und wollte es auch nicht, wenn ich es könnte.« Sie senkte den Blick, biß sich auf die Lippen, und als sie wieder aufschaute, sah Roland frische Tränen über ihre Wangen rollen. »Ich habe mit ihnen gespeist. Es gab Zeiten, da konnte ich nicht anders, sowenig wie du dich weigern konntest, ihre widerliche Suppe zu essen, obwohl du gewußt hast, was darin ist.«
Roland erinnerte sich, wie John Norman gesagt hatte: Ein Mann muß essen . . . eine Frau auch. Er nickte.
»Ich wollte so nicht weitermachen. Wenn es eine Verdammnis gibt, dann soll es die meiner Wahl sein, nicht ihrer. Meine Mutter hat es gut gemeint, als sie mich zu ihnen zurückbrachte, aber sie hat sich geirrt.« Sie sah ihn schüchtern und furchtsam an . . . aber direkt in die Augen. »Ich werde dich auf deinem Weg begleiten, Roland von Gilead. Solange ich darf oder solange du mich haben willst.«
»Du kannst mich gern auf meinem Weg begleiten«, sagte er. »Und deine -«
Gesellschaft wird ein Segen für mich sein, hatte er fortfahren wollen, aber bevor er es sagen konnte, meldete sich eine Stimme aus dem Geflecht der Mondschatten vor ihnen zu Wort, wo der Weg aus dem felsigen, unfruchtbaren Tal hinausführte, wo die Schwestern ihren Zauber ausgeübt hatten.
»Es ist eine traurige Pflicht, eine so einverständige Flucht zu unterbrechen, aber unterbrechen muß ich sie dennoch.«
Schwester Mary kam aus den Schatten. Ihre feine weiße Tracht mit der roten Rose darauf war zu dem geworden, was sie in Wirklichkeit war: das Leichentuch einer Toten. In den schmutzigen Falten der Haube war ein runzliges, teigiges Gesicht gefangen, aus dem zwei schwarze Augen starrten. Sie sahen wie verfaulte Datteln aus. Darunter funkelten, durch das Lächeln des Dings bloßgelegt, vier riesige Fangzähne.
Über der straffen Haut von Schwester Marys Stirn läuteten Glöckchen . . . aber nicht die Dunklen Glocken, dachte Roland. Immerhin.
»Gib den Weg frei«, sagte Jenna. »Oder ich hetze die can tam auf dich.«
»Nein«, sagte Schwester Mary und kam näher, »das wirst du nicht. Sie
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