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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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entfernen sich nicht so weit von den anderen. Du kannst den Kopf schütteln und diese verdammten Glocken läuten, bis die Klöppel herausfallen, und sie werden nicht kommen.«
    Jenna ließ es darauf ankommen und schüttelte den Kopf heftig von einer Seite auf die andere. Die Dunklen Glocken läuteten durchdringend, aber ohne diesen zusätzlichen, fast übersinnlichen Ton, der sich wie ein Dorn in Rolands Kopf gebohrt hatte. Und die Ärzte-Käfer - die Jenna can tam genannt hatte - kamen nicht.
    Die Leichenfrau, die noch breiter grinste (Roland hatte den Verdacht, daß Mary selbst nicht sicher gewesen war, wie das Experiment ausgehen würde, bis die Probe aufs Exempel gemacht worden war), kam weiter auf sie zu und schien dabei über dem Boden zu schweben. Ihr Blick fiel auf Roland. »Und steck das weg«, sagte sie.
    Roland schaute an sich hinab und sah, daß er einen seiner Revolver in der Hand hielt. Er konnte sich nicht erinnern, daß er ihn gezogen hatte.
    »Wenn´s nicht gesegnet oder in das heilige Naß einer Sekte getaucht worden ist - Blut, Wasser, Samen -, kann dieses Ding solchen wie mir nichts anhaben, Revolvermann. Denn ich bin mehr Schemen als Substanz . . . aber solchen wie dir trotzdem ebenbürtig.«
    Sie dachte, daß er trotzdem versuchen würde, sie zu erschießen; er sah es ihren Augen an. Diese Schießeisen sind alles, was du hast, sagten ihre Augen. Ohne sie könntest du genausogut noch in dem Zelt sein, das wir für dich geträumt haben, in den Schlingen hängen und darauf warten, daß wir uns an dir laben.
    Anstatt zu schießen, steckte er den Revolver wieder ins Holster und warf sich mit ausgestreckten Armen auf sie. Schwester Mary stieß einen Schrei aus, der vorwiegend ihrer Überraschung entsprang, aber nicht lang war; Rolands Finger schlossen sich um ihren Hals und würgten das Geräusch ab, ehe es richtig angefangen hatte.
    Ihr Fleisch fühlte sich obszön an - es schien nicht nur zu leben, sondern sich unter seinen Händen zu verändern, als wollte es von ihm fortkriechen. Er konnte spüren, daß es wie Flüssigkeit floß, strömte, und dieses Gefühl war unbeschreiblich gräßlich. Und doch verstärkte er seinen Klammergriff und war fest entschlossen, das Leben aus ihr herauszuwürgen.
    Dann zuckte der blaue Blitz (nicht in der Luft, sollte er später denken; der Blitz fand in seinem Kopf statt, ein einziger Blitzschlag, als sie einen kurzen, aber heftigen Sturm in seinem Gehirn auslöste), und seine Hände flogen von ihrem Hals weg. Einen Moment sahen seine geblendeten Augen große, feuchte Vertiefungen in ihrem grauen Fleisch - Vertiefungen in Form seiner Hände. Dann wurde er nach hinten geschleudert, landete mit dem Rücken auf dem Geröll, rutschte ein Stück und stieß mit dem Kopf so heftig an einen vorstehenden Felsen, daß er einen zweiten, nicht ganz so grellen Blitz sah.
    »Nee, mein hübscher Mann«, sagte sie, verzog das Gesicht zu einer Grimasse und lachte mit ihren schrecklichen stumpfen Augen. »Solche wie mich erwürgt man nicht, und ich werde dich für diese Frechheit ganz langsam nehmen - dich an hundert Stellen schneiden, aber nicht tief, und meinen Durst stillen. Aber vorher muß ich mich um dieses abtrünnige Mädchen kümmern . . . und dabei werde ich ihr auch gleich diese verdammten Glocken abnehmen.«
    »Komm her und sieh, ob du das kannst!« schrie Jenna mit bebender Stimme und schüttelte den Kopf von einer Seite auf die andere. Die Dunklen Glocken läuteten spöttisch und provozierend.
    Marys Grimasse eines Lächelns verschwand. »Oh, ich kann es«, schnaufte sie. Ihr Mund klaffte auf. Im Mondschein funkelten ihre Fangzähne im Zahnfleisch wie Nadeln aus Knochen in einem blutroten Nadelkissen. »Ich kann und ich -«
    Über ihnen ertönte ein Knurren. Es schwoll an und zersplitterte zu einer Salve fauchenden Bellens. Mary wandte sich nach links, und in dem Augenblick, bevor das fauchende Ding von dem Felsen sprang, auf dem es stand, konnte Roland deutlich Schrecken und Bestürzung im Gesicht der Großen Schwester sehen.
    Es stürzte sich auf sie, ein dunkler Schatten vor den Sternen, Beine ausgestreckt, wodurch es wie eine unheimliche Fledermaus aussah, aber noch bevor es mit der Frau zusammenstieß, über den halb erhobenen Armen auf ihrer Brust landete und die eigenen Zähne in ihren Hals grub, wußte Roland genau, worum es sich handelte.
    Als der Schemen sie auf den Rücken warf, stieß Schwester Mary ein schnatterndes Kreischen aus, das in Rolands Kopf

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