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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Eluria nannten sie sich selbst. Und in einem Jahr mochten sie die Kleinen Schwestern von Tejuas oder von Kambero oder von einem anderen entlegenen Kaff im Westen sein. Sie kamen mit ihren Glöckchen und Käfern . . . von wo? Wer wußte es? Spielte es eine Rolle?
    Ein Schatten fiel neben seinem auf das Brackwasser in dem Trog. Roland versuchte, sich nach ihm umzudrehen. Er konnte es nicht; er war erstarrt. Dann packte ihn eine grüne Hand an der Schulter und wirbelte ihn herum. Es war Ralph. Den Bowler hatte er auf dem Kopf nach hinten geschoben; John Normans Medaillon, das jetzt blutrot war, hing ihm um den Hals.
    »Buh!« schrie Ralph und formte mit den Lippen ein zahnloses Grinsen. Er hob den großen Revolver mit den abgenutzten Sandelholzgriffen. Er spannte den Hahn -
    - und Roland erwachte zusammenzuckend, zitterte am ganzen Körper, und seine Haut war naß und eiskalt. Er warf einen Blick auf das Bett zu seiner Linken. Es war leer, die Decke ordentlich hochgezogen und fein säuberlich eingesteckt, das Kissen mit seinem schneeweißen Bezug darüber. Von John Norman fehlte jede Spur. Es hätte seit Jahren unbenutzt sein können, dieses Bett.
    Jetzt war Roland allein. Götter steht ihm bei, er war der letzte Patient der Kleinen Schwestern von Eluria, dieser reizenden und geduldigen Krankenschwestern. Der letzte lebende Mensch an diesem grauenhaften Ort, der letzte, in dessen Adern warmes Blut floß.
    Roland, der in der Schwebe hing, umklammerte das Goldmedaillon mit der Faust und betrachtete über den Mittelgang hinweg die lange Reihe freier Betten. Nach einer kleinen Weile holte er einen der Halme unter seinem Kissen hervor und knabberte daran.
    Als Mary fünfzehn Minuten später kam, nahm Roland die Suppe und heuchelte eine Schwäche, die er gar nicht verspürte. Diesmal gab es Haferbrei statt Suppe . . . aber er zweifelte nicht daran, daß die Zutat, auf die es ankam, noch dieselbe war.
    »Wie gut du heute morgen aussiehst, Sai«, sagte die Große Schwester. Sie sah ebenfalls gut aus - kein Flimmern verriet den uralten Vampir, der sich in ihr verbarg. Sie hatte gut gegessen, und das Mahl hatte sie gefestigt. Roland drehte sich bei dem Gedanken der Magen um. »Ich wette, du bist im Handumdrehen wieder auf den Beinen.«
    »Das ist Quatsch«, sagte Roland mit einem übellaunigen Knurren. »Stell mich auf die Beine, und du kannst mich im nächsten Augenblick vom Boden aufheben. Ich frage mich allmählich, ob ihr nicht etwas in das Essen tut.«
    Darüber lachte sie herzlich. »Ach, ihr Jungs! Stets bereit, eure Schwäche auf ein ränkeschmiedendes Weib zu schieben! Welche Angst ihr vor uns habt - aye, tief drinnen in euren Kleinjungenherzen, welche Angst ihr habt!«
    »Wo ist mein Bruder? Ich habe geträumt, daß es seinetwegen einen Aufruhr in der Nacht gab, und jetzt ist sein Bett leer.«
    Ihr Lächeln wurde verkniffen. Ihre Augen funkelten. »Er bekam Fieber und einen schlimmen Anfall. Wir haben ihn zum Haus der Besinnung gebracht, das schon häufiger ein Heim für Träger ansteckender Krankheiten gewesen ist.«
    Ins Grab habt ihr ihn gebracht, dachte Roland. Das ist vielleicht ein Haus der Besinnung, aber davon verstehst du so oder so nichts, Sai.
    »Ich weiß, daß du nicht der Bruder dieses Jungen bist«, sagte Mary und sah ihm beim Essen zu. Roland konnte bereits spüren, wie das Mittel in dem Haferbrei ihm die Kraft raubte. »Sigul hin, Sigul her, ich weiß, daß du nicht sein Bruder bist. Warum lügst du? ´s ist eine Sünde gegen Gott.«
    »Wie kommst du auf so einen Gedanken, Sai?« fragte Roland und war neugierig, ob sie die Revolver erwähnen würde.
    »Die Große Schwester weiß, was sie weiß. Warum gibst du´s nicht zu, Jimmy? Ein Geständnis ist gut für die Seele, sagt man.«
    »Schick mir Jenna, um die Zeit zu vertreiben, und vielleicht erzähle ich dir viel«, sagte Roland.
    Der winzige Ansatz von Schwester Marys Lächeln verschwand wie Kreideschrift in einem Regenschauer. »Warum möchtest du mit ihresgleichen reden?«
    »Sie ist ziemlich schön«, sagte Roland. »Im Gegensatz zu anderen.«
    Sie zog die Lippen von ihren übergroßen Zähnen zurück. »Du wirst sie nicht mehr sehen, Hübscher. Du hast ihr Flausen in den Kopf gesetzt, das hast du, und so etwas dulde ich nicht.«
    Sie wandte sich ab und wollte gehen. Roland versuchte immer noch, Schwäche zu heucheln und hoffte, daß er nicht übertrieb (die Schauspielerei war nie seine Stärke gewesen), als er ihr die leere Haferbreischüssel

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