Der siebte Schrein
empfangen.«
Mariska zog ein Messer aus ihrer gebauschten Schärpe. Sie bewegte es langsam vor Abbys Gesicht hin und her. »Wir haben es satt, auf dich zu warten.«
Abby leckte sich die Lippen. »Aber ich -«
»Morgen werde ich nach Coney Crossing aufbrechen. Ich werde aufbrechen und nach deiner ängstlichen kleinen Jana sehen.« Ihre Hand glitt über Abbys Nacken. Finger wie Eichenwurzeln packten ihr Haar und hielten Abbys Kopf fest. »Wenn du ihn mir direkt folgen läßt, wird sie freigelassen, wie dir versprochen wurde.«
Abby konnte nicht nicken. »Das werde ich. Ich schwöre es. Ich werde ihn überzeugen. Er ist durch eine Schuld gebunden.«
Mariska hielt die Messerspitze so dicht an Abbys Augen, daß sie die Wimpern berührte. Abby wagte nicht, zu blinzeln.
»Kommst du zu spät, bohre ich mein Messer in das Auge der kleinen Jana. Steche es aus. Das andere lasse ich ihr, damit sie zusehen kann, wie ich ihrem Vater das Herz herausschneide, damit sie weiß, wie sehr es weh tut, wenn sie an der Reihe ist. Hast du verstanden, Herzchen?«
Abby konnte nur bejahend winseln, während Tränen ihr über die Wangen liefen.
»Braves Mädchen«, flüsterte Mariska so nahe, daß Abby gezwungen war, den Gestank der Wurst einzuatmen, die sie zum Abendessen gehabt hatte. »Wenn wir auch nur irgendwelche Tricks vermuten, werden sie alle sterben.«
»Keine Tricks. Ich beeile mich. Ich werde ihn bringen.«
Mariska gab Abby einen Kuß auf die Stirn. »Du bist eine gute Mutter.« Sie ließ Abbys Haar los. »Jana liebt dich. Sie ruft Tag und Nacht nach dir.«
Als Mariska die Tür zugemacht hatte, rollte sich Abby auf dem Bett zu einem zitternden Ball zusammen und weinte mit an die Augen gepreßten Knöcheln.
Delora beugte sich näher, als sie über die breite Brustwehr schritten. »Geht es dir auch wirklich gut, Abigail?«
Der Wind zerrte an ihren Haaren und wehte sie ihr ins Gesicht. Abby strich es sich aus den Augen und sah auf die große Stadt unten hinab, die sich allmählich aus dem Halbdunkel schälte. Sie hatte ein stummes Gebet zum Geist ihrer Mutter gesprochen.
»Ja. Ich hatte nur eine schlimme Nacht. Konnte nicht schlafen.«
Auf der anderen Seite drückte die Mutter Konfessorin ihre Schulter an die von Abby. »Das verstehen wir. Er hat immerhin eingewilligt, dich zu empfangen. Das sollte dich ermutigen. Er ist ein guter Mann, wirklich.«
»Danke«, flüsterte Abby beschämt. »Ich danke Euch beiden, daß Ihr mir helft.«
Die Leute, die auf der Brustwehr warteten - Zauberer, Hexenmeisterinnen, Offiziere und andere -, verstummten alle vorübergehend und verbeugten sich vor der Mutter Konfessorin, wenn die drei Frauen vorbeikamen. Unter mehreren Leuten, die sie vom Vortag kannte, sah Abby auch den Zauberer Thomas, der vor sich hin murmelte und höchst ungeduldig und verbissen aussah, während er mehrere Papiere durchblätterte, die, wie Abby sehen konnte, mit magischen Symbolen bedeckt waren.
Am Ende der Brustwehr kamen sie zur Steinfassade eines runden Turms. Über ihnen reichte ein steiles Dach bis dicht über eine Rundbogentür herab. Die Hexenmeisterin klopfte und machte die Tür auf, ohne eine Antwort abzuwarten. Abbys Stirnrunzeln entging ihr nicht.
»Er hört das Klopfen selten«, erklärte sie mit gedämpfter Stimme.
Das Zimmer aus Stein war klein, hatte aber eine gemütliche Atmosphäre. Ein rundes Fenster zur Rechten bot Ausblick auf die Stadt tief unten, ein anderes auf der gegenüberliegenden Seite auf die hohen Mauern der Feste, wo die fernsten und höchsten gerade von den ersten schwachen Sonnenstrahlen der Dämmerung beleuchtet wurden. In einem sorgfältig ausgearbeiteten Kandelaber aus Eisen befand sich eine ganze Armee von Kerzen, die das Zimmer mit einem warmen Leuchten erfüllten.
Zauberer Zorander, dessen widerborstiges braunes Haar um sein Gesicht herabhing, hatte sich auf die Hände gestützt und studierte ein Buch, das offen auf dem Tisch lag. Die drei Frauen blieben stehen.
»Zauberer Zorander«, verkündete die Hexenmeisterin, »wir bringen Abigail, geboren von Heisa.«
»Unsinn, Weib«, grollte der Zauberer, ohne aufzuschauen, »ich habe dein Klopfen gehört, wie immer.«
»Komm mir nicht mit Flüchen, Zeddicus Zu´l Zorander«, knurrte Delora zurück.
Er beachtete die Hexenmeisterin nicht und rieb sich das glattrasierte Kinn, während er das Buch vor sich studierte. »Willkommen, Abigail.«
Abby tastete mit den Fingern den Sack ab. Aber dann kam sie wieder zu Verstand und
Weitere Kostenlose Bücher