Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
Vom Netzwerk:
finsteren Schwelen seiner Augen davor. Sie fühlte es. Und sie ahnte, dass es einen Namen haben mochte.
    Sie nahm die Hand von seinem Gesicht, er sah auf, wurde sich ihrer erst bewusst, als sie fortgezogen wurde. Runzelte die Stirn in verwunderten Falten. Seine Augen trafen ihre.
    Sie sah noch, wie sein Blick sich voller Staunen weitete, als sie die eigenen Lider sinken ließ. Sie war so müde, dass sie nicht einmal die Kraft hatte, sich Sorgen zu machen. Sie ließ die Erinnerung aufsteigen an das kleine Tor aus jungen Bäumen, hinter dem Rosa verschwunden war; ließ sie nach oben treiben, immer weiter, bis das Bild die Dunkelheit hinter ihren Lidern ausfüllte. Fast konnte sie Rosas hastige Schritte hören, durch den Wald, zurück zu den Tatern, als sie begriffen haben musste, dass Mina ihr nicht folgte. Und sicher hatte sie sie gefunden. Aber Viorel war nicht dort gewesen. Stattdessen hatte er Schatten gespielt am Tor eines Waisenhauses und für den Doktor das Pferd gehalten. Und nun war Rosa im Wald, und Viorel …

    Wie hatte Zinni gesagt? Keiner von uns kann es, nur Karol und Lilja wohl, auch wenn sie es nicht zugibt . Viorel konnte den Wald nicht rufen.
    Mina betrachtete die Bäume hinter ihren geschlossenen Lidern, das weiche, dunkle Grün, die sanfte, ewige Dämmerung. War es richtig, dem Schmerz den Weg dorthin zu öffnen, dem Schmerz, den Viorel in seinen Augen trug? War es richtig, es nicht zu tun?
    Sie hörte ihn ausatmen und wusste, dass sie sich entschieden hatte. Blätter raschelten, als er auf sie trat, wo eben noch Gras gewachsen war.
    »Mina«, sagte er sehr leise. »Kommst du nicht mit?«
    Sie schüttelte den Kopf, ohne die Augen zu öffnen.
    Für Ranzau, J. Für Ranzau, H. Bis zum Ende. Zu welchem auch immer.
    Einen Moment schwieg er.
    »Der Doktor«, sagte er dann und räusperte sich, »ist nach Schleswig gefahren. Er war sehr wütend, dass er dich wieder verloren hat. Ich weiß nicht genau, was es eigentlich ist, das du suchst, Mina. Lilja sagt, es wären deine Brüder …«
    Sie musste zusammengezuckt sein, denn sie hörte das Rascheln, die hastige Bewegung in ihre Richtung, eine entschuldigende Geste.
    »Ich verstehe nichts davon«, sagte er rasch. »Und ich muss es auch nicht verstehen. Aber ich denke, was auch immer du suchst - es wird dort sein, bei ihm. Habe ich Recht?«
    Sie nickte einmal.
    »Dann …« Sie hörte ihn schlucken. »Dann folge der Straße bis zum nächsten Dorf. Dort teilt sie sich, und ein kleiner Pfad führt über die Felder. Er wird dich zu ihm bringen. Wenn du das wirklich willst.«

    Die Bäume rauschten. Viorel sagte nichts mehr. Mina hörte seine Schritte, nah und dann weiter entfernt.
    Dann war Stille.
    Sie öffnete die Augen wieder, blickte über das Feld. Nahm das Bündel auf, das zu ihren Füßen lag, und machte sich auf den Weg.

Sie mied das Dorf, wie sie alle Dörfer gemieden hatte; eine Ausgestoßene hinter der Hecke, während drinnen geredet und gelacht, gearbeitet und gekocht wurde. Es machte ihr kaum noch etwas aus. Nur ganz leise pochte es in ihr, ein dumpfer Schmerz wie von einem wehen Zahn. Sie rührte nicht daran, nicht einmal in Gedanken.
    Es mochte das Abendessen sein, was sie riechen konnte, während sie einen weiten Bogen um die Häuser schlug; sie konnte es nur schwer sagen. Die Wolken hatten sich am Himmel wieder zusammengezogen, ließen ihn noch weiter und riesenhafter erscheinen. War es noch die Sonne, die sich dahinter verbarg, oder schon der blasse Mond? Es war nicht zu sehen. Das Licht war fahl und unscharf, wie hinter einer schmutzigen Scheibe.
    Minas Kopf war jetzt klarer. Vielleicht lag es am Wasser, das Viorel ihr gegeben hatte. Vielleicht auch an dem, was hinterher geschehen war. Der Geruch aus den Töpfen im Dorf ließ ihren Magen knurren, aber sie fühlte noch immer keinen Hunger. Nur eine schwache Wehmut bei dem Gedanken an einen gedeckten Tisch, Gesichter, die sich vertraut über die Schüsseln hinweg anblickten; eine große
Schöpfkelle, die für jeden genug hatte und keinen vergaß. Sie dachte an die Tater, den Laib Brot, den Lilja für sie schnitt, gerade jetzt vielleicht, irgendwo im Wald. Kein Brot, keine Suppe, kein Lächeln für Mina. Nur ihre Füße, die sich vorwärtsbewegten, die Beine, die sich hoben und senkten. Voran auf dem Weg zu dem Mann, vor dem sie geflohen war; zu dem Ort, den sie mehr fürchtete als alles auf der Welt.
    Dem Ort, der ihm gehörte.
    Medizinalrat Dr. med. Rädin. Direktor.
    Sie fand den kleinen

Weitere Kostenlose Bücher