Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
Knochen zermalmen. Erde und Pflanzenfetzen stoben auf, als er die Krallen in den Boden stieß, versuchte sich herumzuwerfen zu ihr.
»Spring, Mina! Spring!«
Der grüne Schimmer … der Hund, so nah …
Mina schrie. Sie schrie und sprang ins Feld hinein und schlug einen Herzschlag später auf den Boden auf, Buch und Spieluhr fest umklammert.
Kein Raps, kein betäubend bitterer Geruch. Keine reißenden Zähne, die nach ihr schnappten. Kein schwarzzottiger Leib, der sich auf sie stürzte. Stille. Und die Sonne war verschwunden.
Vorsichtig richtete Mina sich auf. Sie kauerte auf einem weichen, grünen Untergrund, wie auf winzigen Samtkissen, und grünliches Licht umgab sie, von langen Schatten gestreift. Kein Feld, kein glimmendes Gelb, kein weiter,
grellblauer Himmel. Kein Hundebellen mehr; nur eine raue, volle Stimme, die sich an der plötzlichen Ruhe entlangrieb.
»Ich sagte doch, es würde ihr gelingen.«
Sehr langsam hob Mina den Kopf.
»Herr Tausendschön?«
Sie sah ihn nicht gleich. Bäume umgaben sie auf allen Seiten. Alte, gewaltige, riesenhafte Bäume; mit graubraunen Stämmen, hinter denen sich Pferde verstecken konnten, mit Ästen, die sich wie Straßen in der grünen Höhe spannten. Das Erlenwäldchen des Taterlocks hätte gegen sie wie eine Gruppe Schößlinge gewirkt. Und der Kater, der auf den Wurzeln hockte und sich die Pfote leckte, sah klein wie ein Spielzeug aus.
Bedächtig nickte er ihr zu.
»Ich wusste es, Fräulein Mina. Fragen Sie nur die anderen, ich habe es ihnen gesagt. So dumm, das habe ich gesagt, so dumm kann Fräulein Mina nicht sein, dass es ihr nicht gelingen würde. Nicht, wenn sie Angst genug hat, um es wirklich zu versuchen.«
»Was habe ich denn versucht?«, murmelte Mina verwirrt.
Rosa kam zwischen den Bäumen auf sie zu, strahlend, die Arme ausgestreckt. Sie öffnete den Mund, aber Pipas missmutige Stimme kam ihr zuvor.
»Ihr habt ihr geholfen, ich habe es gehört. Und gesehen! Sonst hätte sie es nie geschafft. Sie hätte nie hierhergefunden.«
Erst jetzt nahm Mina die anderen Tater wahr, die um sie her unter den Bäumen standen. Lilja lächelte sie an, Viorel zwinkerte ihr zu, wie anerkennend. Zinni schmiegte sich an
Nads Hüfte, die Augen noch rund vor Aufregung. Und Pipa, das Gesicht in Falten gekniffen.
Es gab nichts, was sie denken konnte. Keinen Gedanken, der auch nur vage umfassen konnte, was gerade geschehen war. Sie fühlte ihr Herz noch immer klopfen, als spränge der schwarze Hund gerade jetzt auf sie zu - das war das eine. Er war nicht da, keine Spur von ihm zwischen den Bäumen, die es eben noch nicht gegeben hatte - das war das andere. Und einen Gedanken, der beides miteinander verband, so verband, dass es einen Sinn ergab - einen solchen Gedanken konnte es auf der Welt nicht geben.
Der Kater stand gemächlich auf und kam zu ihr herüber. Mit einem langen, sanften Schwung rieb er den runden Kopf an ihrer Schulter. Auf dem Gutshof hatte er das oft getan. Aber es hatte sich nie vorher wie eine Auszeichnung angefühlt.
»Sie haben«, sagte er und schnurrte würdevoll, »es sehr gut gemacht, Mina. Das ist alles, was es dazu zu sagen gibt.«
Was habe ich gut gemacht?, wollte Mina fragen, und wo ist Karol, ich habe ihn doch gesehen; aber Nad schob sich den Filzhut in den Nacken und sagte:
»Kannst du aufstehen? Es wäre besser, wenn wir nicht zu lange hierbleiben würden.«
Mina nickte unwillkürlich, während sie dachte: Hier? Wo ist denn Hier ?
Ein scharfer Schmerz zuckte durch ihren Knöchel, als sie versuchte, sich aufzurappeln, und sie stöhnte leise. Sofort war jemand bei ihr, kniete sich neben sie in das samtige Moos. Viorels funkelnde Augen unter den kühn geschwungenen Brauen rundeten sich besorgt.
»Hast du dich schwer verletzt? Lass mich sehen.«
Er legte seine kräftigen Hände um ihren linken Knöchel. Sie waren warm, selbst durch das steife Leder hindurch. Mina fühlte das Blut in ihre Wangen schießen.
»Nein«, sagte sie leise, als er geschickt den zerrissenen Schnürsenkel aus dem Dutzend Ösen und Haken fädelte, »nein, bitte, es geht schon.«
Seine Zähne strahlten im dunklen Bartschatten auf, als er sie anlächelte.
»Keine Angst. Ich tue dir nicht weh.«
Er lockerte den Stiefel vorsichtig. Dann fühlte sie fremde Hände durch den dünnen Strumpfstoff auf ihrer Haut; fremde, breite, männliche Hände, und sie wusste nicht mehr, wohin sie sehen sollte.
»Es schwillt schon an«, sagte er. »Das ist nicht gut. Ich
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