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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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unterschiedlichen Gefrierpunkte machten das möglich. Da sich der Kampfergeschmack jedoch nicht gänzlich beseitigen ließ, wurde dieser Alkohol vorzugsweise für Magenbitter sowie für bittere Liköre verwendet, denn, wo der Konsument heilsame Kräuter erwartet, überrascht ihn kein Beigeschmack. Wenn es in der Nachkriegszeit keine Magengeschwüre gab, so ist ein Zusammenhang hier jedenfalls nicht zu suchen. Auch Migräne kam in den seltensten Fällen vom Föhn. An Lebensfreude gab’s deswegen keine Abstriche. Man feierte so oft wie möglich und erschien anderntags pünktlich zur Arbeit, gleichgültig, mit welcher Qualität von Kopf. Ein Arbeitsplatz stand zu hoch im Kurs.

    Wegen der Brennstoffknappheit veranstaltete die Stadt München vor Beginn des Winters für die Bürger eine Holzaktion in den nächstliegenden Forsten, und Wolfgang rückte mit seinem Schweizer Obstwasser in den Wald aus. Um die richtigen Baumstämme zu bekommen, war Korruption nötig. Ebenso für das Sägewerk.
    Dann endlich kam der Tag, an dem der Hausbesitzer einsah, daß er sich mit seinem Verdacht, einen Schwarzbrenner aufgenommen zu haben, auf dem Holzweg befand. Vor der Haustür wurden von einem Fuhrwerk Balken abgeladen und mit einem improvisierten Flaschenzug in den dritten Stock hinaufgezogen. Jede freie Minute, jedes Wochenende arbeitete das Trio zimmermannsmäßig. Neue Schwierigkeiten stellten sich ein und wurden mit Einfällen überwunden. Bretter für die Verschalung und vor allem Nägel, die es nirgends zu kaufen gab, fanden sich in umliegenden Selbstbedienungsläden, in den Ruinen der Nachbarschaft. Waren die Bretter angekohlt, wurde die brauchbare Hälfte abgesägt; dagegen zeigten sich die Nägel ausgesprochen renitent, sie ließen sich erstaunlich leicht geradeklopfen, um sich beim Einschlagen sofort wieder zu verbiegen. Sie waren ausgeglüht und mußten in mühsamem aber lehrreichem Verfahren neu gehärtet werden. Dazu machte man ein Feuer und hielt jeden einzeln an der Zange hinein. Wenn er rotglühend war, schreckte man ihn mit einem Kaltwasserbad ab. Fortan zeigte er wieder Rückgrat und wich seinen Pflichten nicht mehr aus.
    War das Schwarzbrennen ein Spaß gewesen, begann jetzt die Fron. In steinzeitlich mühsamer Handarbeit mußten die gleichfalls ausgeglühten und verbogenen Blechplatten mit alten Ziegelsteinen geradegeklopft werden. Vor allem das dabei entstehende Geräusch wirkte demoralisierend. Keiner, der nicht mit dem Gedanken gespielt hätte, aufzugeben. Doch dann genügte ein Blick auf das störrisch dastehende Balkengerüst, und sie machten weiter.
    Schließlich verstummte der Lärm, die Schwielen schmerzten nicht mehr. Regen wurde erwartet und der machte aus der Tugend neue Not. Damit hatten sie gerechnet. Wenn es richtig prasselte, wurden die Schwächen des ausgedienten Materials trotz aller Sorgfalt offenbar. Bei Regen sich regen
    hieß die Devise. Ein ewiges Kommen und Gehen mit vollen und leeren Schüsseln, Töpfen, Eimern kennzeichnete den ungebrochenen Willen, das gerettete Gut zu schützen. Neue Einfälle trugen dazu bei, die Lage weiter zu verbessern. Von der Besatzungsmacht organisierten sie Zwanzig-Kilo-Kanister für Schweineschmalz, leer versteht sich, und stellten sie auf die am Boden markierten Tropfstellen. Das große Fassungsvermögen kam vor allem dem Schlaf zugute. Goß es während der Nacht, mußte nur mehr alle zwei Stunden einer auf stehen.
    Sämtliche Hausbewohner beteiligten sich am Leerungsservice, der mangels einer Lichtleitung, mangels Kerzen oder Taschenlampenbatterien im Dunkeln stattfand. Aber jeder hatte die Standplätze der Auffangbehälter bei Tageslicht vor dem inneren Auge. Gleichsam mit Radar ausgestattet, ging man in die richtige Richtung, bückte sich, wenn der Fuß anstieß, um den Finger prüfend einzutauchen, schleppte die nasse Last zur nächsten Fensterhöhle, kippte sie hinaus, fand den Rückweg wieder und bewegte, Fuß vor Fuß setzend, das Gefäß so lange waagerecht hin und her, bis der Tropfenaufprall auf dem Bodenblech die gesuchte Stelle meldete.
    Fanden sich bei Tagesanbruch dennoch Wasserflecken an der Zimmerdecke, war die Ursache klar: eine neue Tropfstelle hatte sich gebildet. Sie diente als Ansporn, den Leerungsservice weiter zu verfeinern. Aufs Dach steigen konnte man nicht. Die Bleche hingen zum Teil wie Hängematten zwischen den Sparren; für komplette Verschalung hatten die Bretter nicht gereicht. Also wurden aus Ruinen heilgebliebene Badewannen,

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