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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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waren sie mir nicht. Die Richtigen sind eben oft die Falschen. Nicht nur auf dem Schwarzmarkt. Prüfend sahen sie mich an, stocherten mit Fangfragen in mir herum. Dank meiner eilfertigen Ausstrahlung, wahrscheinlich aber, weil sie in meinem großen Bekanntenkreis brachliegende Kunden witterten, wurde ich probeweise als Debütant in ihre Gesellschaft eingeführt.
    Das Clubhaus, eine ehedem reelle Bierwirtschaft lag razziafern im Englischen Garten und hatte, wie alle klein- oder großbürgerlichen Gasthäuser, ein Nebenzimmer. Auch der Name hörte sich volkstümlich-unverdächtig an. Das Publikum im Nebenzimmer bot einen repräsentativen Querschnitt durch die damalige Geschäftswelt — in Anführungszeichen: Zuhälter, Bankier, Handwerker, Student, ehemaliger Offizier, Schläger, Schlagerkomponist, politisch Verfolgter, gestrandeter Beamter, Vertreter und jener Typus des Farblosen, dessen berufliche Vergangenheit ebensowenig interessiert, wie seine leibliche Gegenwart, Namen vielen nicht. Man wurde mitgebracht, aber nicht vorgestellt; die Herren nickten kurz und aßen weiter.
    Hinter vorgehaltener Hand erfuhr man dann doch, daß es sich bei diesem oder jenem um eine bekannte Persönlichkeit handle. Alle waren für die Zeit zu gut gekleidet, die meisten mit Krawatte. Aus dem Hof drangen Klopfgeräusche herein. Überhaupt entsprach der Club atmosphärisch eher einer Kantine: vertraut, ohne nennenswerte Vertraulichkeit, doch mit Flachs von Tisch zu Tisch. Das Zusammensein diente der Information, Schweinebraten mit Beilagen, Alkohol, Zigarre, Kaffee und Torte mit Sahne waren Bestandteile des Arbeitsessens. Ohne vom Teller aufzuschauen, stellten die Herren Offerten in den Raum.
    »Ich habe einen Tintoretto — mit Expertise — und suche Zucker. Ein, zwei Waggons...«
    »Ich habe Briketts und suche Schuhe. Die gängigen Größen...«
    Ein abwägender Blick, wie der Neue darauf reagiert, brachte mich in Zugzwang. Wenn ich in Zukunft gelegentlich hier essen wollte, war es jetzt an mir meine Lehrlingsarbeit zu liefern. Bestenfalls in der Lage Theaterkarten zu besorgen, rettete ich mich in die Phantasie: »Leder hätt’ ich«, sagte ich beiläufigst mit wohltönender Bühnenstimme, »allerdings nur Kroko. Der Lastzug steht in Straßburg .«
    Die Stadt jenseits der Grenze hatte ich mit Absicht gewählt. Import erschien mir schwieriger. Ich konnte jederzeit etwas dazwischenkommen lassen, ohne mein Gesicht und damit Gewicht zu verlieren.
    Ob ich die Prüfung bestanden hatte, blieb offen.
    »Mahlzeit allerseits!« Mit diesem unpassenden Zuruf platzte ein junger Mann herein, der hier nichts verloren hatte, in seiner dreckigen Monteurhose, mit aufgekrempelten Ärmeln und ölverschmierten Händen. Nicht genug. Zur Begrüßung reichte er den Ellbogen über die Tische. Er roch ein bißchen- Zeitgenössischen Status verlieh ihm allein der Schweizer Chronometer an seinem Handgelenk. Der war aus Gold. Er war der Wirt.
    Mit weißer Schürze als adretter Kontrast, erschien hinter ihm die Frau Wirtin. Ihre Kochkünste, ihr sicherer Griff ins Volle, wurden gleichermaßen gelobt. Auf einer zweizackigen Gabel hatte sie ein Stück Fleisch aufgespießt, das sie ihrem Mann zwischen die Zähne schob — ein erster Versuchshappen der jüngsten Schwarzschlachtung, wie sie betonte.
    »Mei is des guat!« Der Ölverschmierte schmatzte kostümgerecht, »A Rindsfilet. Da müßt’s morgen alle kommen .« Unter zustimmendem Nicken verließ er mit Frau den Club.
    Seine Auftritte in Montur gehörten, wie man mir sagte, zum Ritual. Niemand störte sich daran, obwohl man damals im Umgang eher förmlich war. Alle schätzten den Mann, nicht nur als Wirt, auch als Kollegen. Mit Geschick, Fleiß und bescheidenem Werkzeug bastelte er im Hof aus je zwei schrottreifen BMW 328 Vorkriegs-Cabriolets ein neuwertig erscheinendes zusammen, versah es mit täuschend echten Papieren — Sonderanfertigung eines Herrn vom Club — und verschob es in die Schweiz.
    Ich schluckte. Was war daneben mein Lastzug in Straßburg? Niemand verlor mehr ein Wort darüber. Doch ich blieb geduldet und nahm ein Kilo zu. Um ein Kilo ging es auch bei einem Coup, den ich mir aus Gesprächsfetzen zusammenreimte. Der Traum vom Mitverdienen an einer großen Sache verfolgte mich weiter in allerlei Variationen.
    Einer aus dem Club war geschäftlich verreist gewesen. »Ich weiß«, bestätigte ein anderer. »In Frankfurt haben Sie meine Schwester getroffen, und sie hat Sie gebeten, einem
    Bekannten in

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