Der Siegelring - Roman
der Alte schüttelte nur den Kopf. »Kann sein, dass er es auch gar nicht wollte.«
»Ja, das kann natürlich sein!«
Erbittert wrang Annik einen Lappen aus.
»Cullen hat seine eigenen Gründe«, sagte Ursa, wieder gefasst und nüchtern. Sie wickelte mit geschickten Griffen den Verband fest um Erwans Oberkörper.
»Ich lasse Annik eine Phiole mit Tropfen hier, die dir schlafen helfen. Du wirst ziemliche Schmerzen haben.
Ich bringe auch ein paar neue Decken. Dieser Schweinestall sieht ja grauenvoll aus. Als hätte man eine Sau geschlachtet!«
Sie raffte die zerrissenen und blutgetränkten Decken zusammen und verließ den Verschlag.
Annik nahm das Fläschchen an sich und fragte: »War sonst noch jemand vom Gut dabei?«
»Nein, nur Ilan und ich.«
»Wie habt ihr, angeschlagen wie ihr wart, es eigentlich hierher geschafft?«
»Der Korbhändler hat uns in seinem Wagen mitgenommen. Die Körbe sind schön groß…«
»Ja, ja. Also hat euch niemand sonst hier gesehen?
»Nein, ich glaube nicht.«
»Dann haltet den Mund darüber.«
»Geht in Ordnung!«
»Woher wusstet ihr von dem geplanten Überfall?«
Erwan grinste sie an: »Die Blätter der Bäume haben so seltsam geraschelt!«
Sie schnaufte verzweifelt. Mehr Antworten würde sie nicht erhalten, das wusste sie. Darum schickte sie sich drein und sagte: »Schön, ihr zwei. Und wer macht jetzt eure Arbeit?«
»Der Ofen muss doch sowieso noch einen Tag auskühlen! Morgen kann Ilan Euch helfen, ihn auszuräumen.«
Der Junge verzog unwillig das Gesicht, ließ sich aber dann von Annik ein Strohlager aufschütten und legte sich dankbar hinein.
»Meinst du, ich könnte einen Teller Brei bekommen?«, fragte er dann vorsichtig. »Ich hab nämlich seit gestern Mittag nichts mehr zu essen bekommen.«
»Helden!«, grollte Annik und schickte Gwena in die Küche, um den beiden Brei, Brot und Wein zu holen.
Sie hatte viel zu tun in den folgenden Tagen, aber vor allem beschäftigte sie dabei die Frage, wie sie sich ihrem Herrn gegenüber verhalten sollte. Die Beteiligung ihrer beiden Helfer an dem Überfall musste Konsequenzen haben. Aber sollte man den alten Mann, der auf dem Gut sein Gnadenbrot bekam, einfach rauswerfen? Sollte man einen vierzehnjährigen Jungen, der zum Heldenmut verführt wurde, dafür bis aufs Blut auspeitschen und davonjagen? Sie war von diesen Maßnahmen nicht überzeugt. Erwan würde vielleicht irgendwo Unterschlupf finden, aber seine Tage waren sowieso gezählt. Der Junge würde von den Aufrührern aufgenommen werden und weder die Niederlage noch die Strafe vergessen, die er durch die Römer erfahren hatte. Sie würden seinen Stolz brechen, und daraus entstanden lebenslange Feindschaften. Vielleicht war es besser, Valerius Corvus die unrühmliche Tat der beiden zu verschweigen und sich mit dieser Haltung ihr Vertrauen zu erkaufen. Möglicherweise erfuhr sie dadurch irgendwann, wer der Verräter im Hause war.
24. Kapitel
Valerius’ Besuch
Valerius Corvus kam zwei Tage später aus der Colonia zurück, Falco begleitete ihn. Beide kamen am Nachmittag zu ihr in die Werkstatt. Valerius Corvus nickte ihr freundlich zu, und Falco kam ohne Umschweife zur Sache.
»Lass uns in deine Hütte gehen, hier gibt es zu viele Zuhörer!«
Sie begleitete ihren Hausherrn und den Praefecten in ihr Häuschen und schloss die Tür hinter sich. Die Männer nahmen auf der Bank hinter dem Tisch Platz, und Annik zog sich einen Schemel herbei.
»Deine Nachricht war hilfreich, Annik.«
»Sie hat fünf Männern das Leben gekostet.«
»Sieben. Zwei meiner Leute sind ebenfalls umgekommen bei dem Geplänkel.«
»Es wäre nicht notwendig gewesen.«
»Verdammt, wäre es denn notwendig gewesen, den Gesandten zu überfallen?«
»Nein, natürlich nicht. Ach, schon gut.«
»Wer in meinem Haus hat die Information weitergegeben?«
»Ich weiß es nicht, Dominus. An dem Abend, als Ulpia Rosinas Verwandter zu Gast war, war das Hausgesinde vollzählig anwesend. Man hätte es vielleicht einschränken können, hätte die Domina nicht unglückseligerweise Ursa um den besten Wein geschickt und auf die Adoption ihres Onkels einen Trinkspruch ausgebracht.
Es standen alle im Raum, als der Besucher von dem kaiserlichen Gesandten mit der offiziellen Urkunde sprach.«
»Misslich!«, sagte Falco.
»Ja, wirklich.«
»Und vier Tage später wusste der Barde davon.«
»Wahrscheinlich wusste er es schon am nächsten Morgen. Aber vier Tage später hatte er bereits Kenntnis davon, dass ein
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