Der Siegelring - Roman
froh, als er endlich gegangen
war, denn ihre Rolle in den Verwicklungen behagte ihr nicht. Sie wusste zu viel, und sie hatte zu viel Respekt vor denjenigen, die das alte Wissen beherrschten, um nicht doch eine gewisse Angst davor zu haben, durchschaut zu werden.
»Vielleicht ist es ganz gut, ein oder zwei Tage von hier fortzukommen«, sagte sie zu den Matronen an ihrem Herd, als sie sich das Abendessen richtete.
27. Kapitel
Gewährte Bitte
Falco klopfte zwei Tage später am frühen Nachmittag an ihre Tür.
»Ulpia Rosina hat mich gebeten, dich mit in die Colonia zu nehmen, Annik. Hast du Lust dazu?«
»Ich habe sogar schon mein Bündel geschnürt.«
»Bestens, dann können wir gleich aufbrechen. Ich bleibe bis morgen Abend oder übermorgen früh und soll dich zu Corvus’ Haus bringen.«
»Gut. Lass uns zum Stall gehen. Die Domina gestattet mir, eines der Pferde zu nehmen.«
Als er sah, welches sie ausgewählt hatte, nickte er anerkennend.
»Ein feuriges Tier, ich kenne es. Corvus reitet den Hengst gewöhnlich selbst.«
»Ich hoffe, er erlaubt es.«
»Es könnte keinen besseren Reiter haben. Auf geht’s, Annik!«
Es war noch kälter geworden, und der Boden war gefroren. Aber der Himmel war klar, und eine blasse Wintersonne erhellte die frostige Welt. Sie erreichten bald die breite, gepflasterte Straße. Sie benutzten den daneben liegenden Grasstreifen für die Reiter, und voller Übermut trieb Annik ihr Pferd an. Es war eines der wenigen Male, die sie den ansonsten so ernsthaften Falco fröhlich erlebte. Er lieferte ihr ein prächtiges Rennen.
»Ich erinnere mich noch, wie ich dich das erste Mal am Strand habe entlangreiten sehen!«, sagte er, als er sie
eingeholt hatte und sie beide einträchtig nebeneinander in Schritt verfielen. »Damals glaubte ich, eine der legendären Amazonen auf mich zukommen zu sehen.«
»Ja, das freie Ausreiten vermisse ich hier manchmal.«
»Wenn du Corvus fragst, wird er dir sicher erlauben, die Pferde zu benutzen.«
»Vielleicht. Aber ich habe schon so viele Vergünstigungen erhalten, dass ich meine Stellung nicht überstrapazieren möchte.«
»Das mag klug sein. Und alleine auszureiten ist vermutlich nicht ganz ungefährlich. Übrigens habe ich eine Liste der hingerichteten Rebellen anfertigen lassen. Ich gebe sie dir nachher für Corvus mit.«
»Gut. Und ich habe dem Barden ins Gewissen geredet. Aber ob es etwas bewirkt, wage ich zu bezweifeln. Er ist sehr eigensinnig, dieser Cullen. Dass er selbst hinter den ganzen Aktionen steckt, glaube ich fast nicht mehr. Aber, Falco, ich möchte jetzt zwei Tage Ferien haben. Lass uns von anderen Dingen reden.«
»Tun wir das. Zum Beispiel müssen wir uns noch etwas ausdenken, wie wir dich dem Verwalter in Corvus’ Haus vorstellen.«
»O ja. Wir können ihm wohl kaum sagen, dass die Töpferin vom Gut bitte eines der besten Schlafzimmer zu beziehen wünscht.«
»Schwerlich.«
»Wie wäre es, wenn du mich als Ulpia Rosinas Freundin vorstellst? Das ist zumindest die Wahrheit.«
»Das ginge wohl.«
»Oder deine?«
»Das ginge auch. Es ist wahrscheinlich sogar glaubwürdiger, denn die Leute wissen, dass Rosina kaum das Gut verlässt. Eine gallische Barbarin zählt da eher weniger zu ihren Freundinnen.«
Annik lachte: »Na, dann nimm du diese Diskriminierung auf dich!«
»Mache ich. Und wie möchtest du angeredet werden?«
»Ich bin Annik!«
»Ich lege Wert auf Bekanntschaften von Rang. Und die tragen vollständige Namen.«
»Angeber!«
»Klar, bin ich. Na komm, wie soll ich dich vorstellen?«
»Lass dir etwas einfallen.«
»Annik, wie würden dich die Menschen deiner Heimat anreden?«
Sie grinste ihn an.
»Anna, Tochter der Deneza.«
»Ach ja? Ihr verfolgt die mütterliche Linie?«
»In einigen Familien.«
Er trabte eine Weile, ohne etwas zu sagen, neben ihr her, dann sagte er: »In einigen, ja. Gut, ich werde dich als Anna Denezia vorstellen.«
»Einverstanden. Und jetzt, Praefect Lucius Aurelius Falco, werden wir noch einmal sehen, wer von uns zuerst die Stadtmauer erreicht!«
Sie schlug ihn um eine halbe Pferdelänge.
Sehr viel gesitteter ritten sie dann durch die Straßen der Stadt und hielten an einem lang gestreckten Haus mit einer weißen Säulenfront in der Nähe des Kapitols.
»Hier ist das Stadthaus der Valeria. Ich muss dich aber gleich alleine lassen, denn ich habe wichtige Verabredungen einzuhalten.«
Falco betätigte den Türklopfer, und ein würdevoller Bediensteter öffnete ihm. Der Mann
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