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Der Siegelring - Roman

Titel: Der Siegelring - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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sitzt genau wie du in der Schürze herum, inmitten von Splittern und Staub.«
    Es war ein kühler Tag Anfang Dezember, der Himmel war bedeckt, und es schien nie richtig hell werden zu wollen. In Rosinas Werkstatt brannten alle von der Decke hängenden Öllampen, die Gläser auf den Borden und die Splitter und Scherben auf dem Tisch glitzerten. Rosina saß auf einem Schemel davor und bearbeitete den Rand einer Schale aus leuchtend blauem Glas mit einer kleinen Feile.
    »Ach, Annik! Schön, dass du kommst!«
    Sie sah auf, als sie sie begrüßte, und Annik erschrak über ihr Aussehen. Ulpia Rosina hatte tiefe Ringe unter den Augen und schien blasser als gewöhnlich. Als sie die Feile hinlegte, wirkten ihre Handbewegungen fahrig.
    »Gratia sagt, Ihr habt etwas Neues hergestellt.«
    »O ja, deine Tonplastiken haben mir keine Ruhe gelassen, und darum habe ich versucht, so etwas Ähnliches
in Glas abzubilden. Es ist mir nicht gleich gelungen, aber so allmählich komme ich dahinter. Ich habe mir Glaskugeln gießen lassen, und daraus ist dann das hier entstanden.«
    Sie reichte Annik in der hohlen Hand ein Köpfchen aus milchigem, grünlichem Glas. Ein sanftes Frauengesicht, sehr ebenmäßig und fein geformt, sah sie an, um die lockige Frisur wand sich ein Kranz aus Blüten, Blättern und Ähren.
    »Ceres!«, flüsterte Gratia andächtig. »Oh, ist die hübsch geworden!«
    »Ceres?«, fragte Annik.
    »Die Göttin der Feldfrüchte. Sie sorgt für gute Ernten. Du solltest sie ins Lararium stellen, Rosina!«
    »Ja, das könnte ich. Und dies hier vielleicht ebenso.«
    Ein weiterer Frauenkopf, strenger, hoheitsvoller, lag in Anniks Hand.
    »Minerva, Jupiters Gattin«, erklärte Gratia. »Komisch, sie sieht dir ein bisschen ähnlich, Annik.«
    »Na, ich weiß nicht. So würdevoll sehe ich nun wirklich nicht aus.«
    »Och doch, manchmal schon. Wenn du mit jemandem grollst, zum Beispiel.«
    »Grollt Minerva?«
    »Des Öfteren. Über Jupiter. Wenn der wieder mit den Nymphen …«
    »Ist dieses Wissen das Resultat deiner Literaturstudien, Gratia?«, fragte Ulpia Rosina.
    »Natürlich, das Leben der Götter und Helden ist sehr lehrreich, findet Humilius. Wir lesen die Anaeis von Vergil.«
    »Ja dann.«
    Feli war von Gratias Schulter auf den Boden gesprungen und schnupperte nach neugieriger Katzenart die
Ecken der Werkstatt ab. Aber in dem sauberen, aufgeräumten Raum gab es wenig Interessantes für sie. Dagegen schienen sie die in den flackernden Lichtern aufblitzenden Glasscherben auf dem Tisch zu faszinieren. Keine der drei Frauen bemerkte, dass sie in sprungbereiter Stellung darauf lauerte, jene blitzenden Objekte zu fangen. Und dann passierte es. Feli machte einen Satz, landete elegant auf dem Tisch, spürte den scharfen Splitter in ihrer Pfote und stieß gegen die blaue Schale. Es klirrte, als sie vom Tisch auf die Steinplatten des Bodens fiel.
    Feli schrie vor Schmerz und Schreck.
    Ulpia Rosina schrie ebenfalls. »Nein. Nicht die Schale! Du verdammtes Vieh!«
    Sie packte die verdutzte Katze im Genick, drückte sie auf den Tisch und hatte plötzlich das Stilett in der rechten Hand.
    Gratia schrie nun ebenfalls: »Nein! Rosina, lass sie!«
    Doch Rosina in besinnungsloser Wut holte zum Stich aus.
    Annik reagierte schneller, als sie es selbst für möglich gehalten hatte. Sie schlug Rosina auf das Handgelenk, das Stilett wirbelte durch den Raum und fiel mit einem leisen Klappern zu Boden. Sie bückte sich danach und steckte es in das Taillenband ihrer Lederschürze.
    Ulpia Rosina hatte vor Überraschung die Katze losgelassen, die verschreckt vom Tisch sprang und sich unter der Bank an der Wand verkroch. Ihre zerschnittenen Pfoten hinterließen blutige Abdrücke.
    »Wie konntest du, Rosina!«, schluchzte Gratia auf und kniete vor der Bank nieder.
    Rosina aber war auf ihrem Hocker zusammengesunken und vergrub den Kopf in den zitternden Händen.
    »Domina, es war nur ein Glas. Mag sein, dass es ein
Kunstwerk geworden wäre, aber Ihr seid in der Lage, andere herzustellen.«
    Sie rührte sich nicht, und Annik hob die beiden größten Bruchstücke auf und betrachtete sie. Die Künstlerin hatte das Glas wie eine Gemme bearbeitet, vertieft in das glatte blaue Material war ein Gesicht geschnitten, und als sie die beiden Stücke zusammenfügte, erkannte sie, wen es darstellte. Es erklärte Rosinas heftige Reaktion.
    »Gratia, nimm Feli und bring sie zu Ursa. Sie wird wissen, wie man die wunden Pfoten behandeln muss.«
    Das Mädchen warf einen

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