Der Siegelring - Roman
in das Esszimmer und flüsterte seinem Herrn etwas ins Ohr.
»Sag ihm ab, ich habe heute anderweitige Verpflichtungen!«, antwortete er.
»Ich hoffe, Ihr lehnt nicht meinetwegen Eure Einladungen ab, Valerius.«
»Doch, das tue ich. Es wird schon nicht mein Ruin sein, wenn ich einen Abend lang die Gelage im Hause des Imperators versäume.«
»Ihr hattet eine Einladung von Traian?«
»Nicht die erste und nicht die letzte. Setzt Euch, Dame Anna, und kostet die Speisen, die für Euch bereitet wurden.«
Sie nahmen auf den Liegen vor den niedrigen Tischen Platz und ließen sich den Wein reichen. Ihre Unterhaltung war leicht, aber förmlich und galt allgemeinen Dingen. Annik lernte eine neue Seite an Valerius Corvus kennen. Hier war er nicht der Gutsherr, manchmal barsch und kurz angebunden, sondern ein gewandter Redner
von umfassender Bildung, ein versierter Kenner der politischen Lage, ein geistreicher Mann von hintergründigem Humor. Sie genoss das Gespräch mit ihm und das ausgezeichnete Mahl. Diener kamen und gingen, brachten mit Koriander gewürztes Huhn auf Lauch und Datteln, ein Frikassee mit getrockneten Aprikosen, knuspriges Brot und süße Mandelkuchen, gebackene Äpfel und in Honig kandierte Früchte. Erst als die Schalen und Schüsseln abgeräumt waren und die Diener sich zurückgezogen hatten, wechselte Valerius Corvus zu einem ernsteren Thema über.
»Falco hat mir die Liste überbracht.«
»Ich weiß, er sagte es mir. Habt Ihr sie schon durchgesehen?«
»Ja, flüchtig. Ich fand keinen Hinweis darin. Aber vielleicht kannst du mehr daraus ersehen.«
»Ein klein wenig mehr habe ich inzwischen sogar herausgefunden. Gebt sie mir auf jeden Fall.«
»Morgen. Aber verwende nicht zu viel Zeit darauf. Ich nehme an, du bist hier in der Stadt, um dich zu vergnügen.«
»Ja. Ich möchte mir die Häuser, die Märkte und die Tempel ansehen, die Läden und vielleicht das Theater.«
»Du kannst nicht alleine durch die Straßen streifen. Das gehört sich nicht.«
»Auch nicht, wenn ich wieder zur schmuddeligen Töpferin werde? Ich muss nicht unbedingt in feiner Gewandung die Dame Anna spielen.«
»Erst recht nicht als schmuddelige Töpferin. Du bringst wahrhaft Schande über mein Haus!«
»Ja, Dominus!«
Er stand auf und ging zu ihr.
»Nenn mich hier nicht Dominus!«
»Nein, Dominus.«
»Und nicht in diesem Ton!«
Sie sah zu ihm auf und erhob sich dann ebenfalls.
»Nicht?«
»Tu es nicht, Annik. Du weißt nicht, was du damit anrichtest!«
»Glaubt Ihr?«
Sie sah ihm in die Augen, und er hob die Hand zu ihrem Kopf.
»Frikka hat sich große Mühe gegeben, sie aufzustecken.«
»Ja, das sehe ich.«
Er drehte sich um und griff zu seinem Weinpokal.
»Ich werde sie nicht alleine lösen können, Dominus!«, sagte sie sanft.
Er wandte sich ihr wieder zu, ohne getrunken zu haben.
»Ich werde Eure Hilfe brauchen.«
»Annik?«
»Dominus.«
»Komm mit.«
Es klang barsch, aber sie lächelte ihn an und sagte: »Gerne.«
Das Zimmer war warm, in zwei Bronzebecken glomm rote Glut. Eine dreiflammige Lampe brannte an der Wand, eine dicke Wachskerze in einem hohen Halter. Über das breite Lager waren Pelzdecken geworfen, und eine gläserne Karaffe mit Wein, ein Korb mit Früchten und Backwaren standen auf dem kleinen, dreibeinigen Tisch.
Valerius Corvus schloss die Tür und nahm Anniks Hand. Er zog sie zu sich und legte ihr den Arm um die Hüften. Mit der anderen Hand griff er in ihre Haare und zog die Nadeln und Kämme heraus. Sie fielen achtlos zu Boden.
»Gerne, Annik?«
»Warum glaubt Ihr mir nicht?«
»Weil ich nicht der Mann bin, mit dem eine Frau gerne das Lager teilt.«
»Ich habe Euch vor langer Zeit schon einmal gesagt, dass Narben für mich keine Rolle spielen. Und - Valerius - Ihr habt doch ansonsten keine Wunden davon getragen, die Euch daran hindern, nicht wahr?«
»Nein, das habe ich nicht.«
»Oder scheut Ihr womöglich doch vor der schmuddeligen Töpferin zurück?«
Er fasste mit der Hand unter ihre Haare und hob ihren Kopf hoch. Seine Lippen trafen die ihren mit ungestümer Begierde. Sie atmete heftig, als er sich von ihr löste, ließ aber ihre Arme um seinen Nacken gelegt.
»Ich begehre dich.«
Langsam nahm sie die Arme zurück und begann, die Fibeln auf ihrer Schulter zu lösen. Er zog die Bänder auf, die ihr Gewand hielten, und es glitt zu Boden. Sie trug nur noch das Brustband und den Leinenschurz ihrer üblichen Unterkleidung. Er legte nun seine Wolltunika ab und zog sie
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