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Der Siegelring - Roman

Titel: Der Siegelring - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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unseres Landes übernommen. Vielleicht ist es nicht so schlimm, dass ich darauf verzichtet habe. Ich bin nämlich, wie Ihr schon gemerkt habt, eine sehr herrschsüchtige Person und hätte bestimmt häufig Streit mit den fremden Machthabern angefangen.«
    »Ach ja, ich erinnere mich an deinen Gerechtigkeitssinn!«
    Sie lachte leise und stellte den geleerten Pokal auf den Boden. Dabei musste sie sich über Valerius’ Brust beugen und fühlte seinen warmen Körper unter dem ihren. Sie kam nicht wieder zurück in ihre vorherige Stellung, er hielt sie fest.
    »Bleib bei mir, Annik.«
    »Soll ich?«
    »Ja, meine barbarische Fürstin. Jetzt, morgen, die nächsten Tage, und wenn wir uns vertragen, dann auch noch darüber hinaus.«
    »Jetzt und hier will ich gerne bleiben«, sagte sie und legte ihre Hände auf seine Schultern. »Über das andere reden wir später!«
    Sie stützte sich auf ihm ab, und ihre Haare fielen über ihn wie ein Zelt aus Seide. Er umfasste ihre Hüften mit beiden Händen und strich mit den Daumen die Lendenbeuge hinab.
    »Mehr kann ich wohl nicht verlangen«, flüsterte er, während sie sich über ihn schob.
    »Doch, Dominus, das könnt Ihr!« Und dann kicherte
sie übermütig. »Ovid hat geschrieben: ›Der altgediente Soldat wird sachte und mit Verstand lieben und vieles ertragen, was ein Anfänger nicht aushalten kann …‹«
    Valerius Corvus lachte, er lachte lange und unbändig, bis das Lachen in ein Stöhnen überging.
    Später, als Annik erschöpft in seiner Armbeuge lag und schon die ersten Wellen des Schlafes über sie kamen, begann sie noch einmal zu kichern. Ovid hatte Unrecht gehabt, stellte sie fest. Der altgediente Soldat liebte weder sachte noch mit Verstand. Aber, bei Taranis, er hatte verdammt vieles zu ertragen gehabt.
    »Annik!«
    »Ja«, murmelte sie schlaftrunken.
    »Ovid spinnt!«
    Und das erste Mal seit vielen Jahren schlief Valerius Corvus mit einem Lächeln auf dem Gesicht ein.
     
    Als der Morgen sein bleiches Winterlicht durch die Fenster schickte, lagen sie beide noch im tiefen Schlummer, nicht mehr eng aneinander gepresst, sondern verbunden durch die Berührung ihrer Hände. Cosimo, Valerius Corvus’ Leibdiener, betrat das Zimmer und hob mit leiser Missbilligung die Kleider auf, die achtlos auf dem Boden lagen. Aber er weckte die Schlafenden nicht. Auch die Geräusche des erwachenden Haushalts, das Schurren der Fensterläden und Türen, das Klappern der Wassereimer, das dumpfe Klopfen, das beim Hacken des Feuerholzes erklang, das Schwatzen und Kichern der Mägde weckten sie nicht. Erst der Besucher, der an der Tür klopfte, ließ Annik aus den Tiefen ihrer Träume auftauchen. Seltsame Träume waren es gewesen. Träume, die aus einer anderen Welt, aus einer anderen Zeit zu stammen schienen. Sie war wieder auf ihrer Insel, doch sie hatte sich verändert. Die Küstenlinie hatte sich weiter nach Westen verlagert,
der kantige Fels war geborsten und hatte ein Geröllfeld gebildet. Zur Landseite hin stand ein großes Haus aus grauem Feldstein darauf, ein festgefahrener Kiesweg führte aus dem sandigen Watt hinauf, endete in einem Hof davor, der von einem weißen Lattenzaun umgeben war. Eine rote Katze sonnte sich vor der unglaublich blau gestrichenen Tür, und ihr unbekannte Büsche mit breiten, graugrünen Blättern lehnten sich an die Mauern. Sie trugen riesige blau-rosa Blütenbälle. Ein Mann mit einem Korb voller Holzscheite trat hinter dem Haus hervor. Er sah Valerius Corvus erstaunlich ähnlich, aber er war gänzlich anders gekleidet. Er trug eng anliegende blaue Beinkleider, darein gesteckt eine sehr seltsame Form der Tunika, die zwar mit ihr bekannten Buchstaben verziert war, die aber Wörter bildeten, die ihr nichts sagten. Außerdem schmiegte sie sich so eng an, dass sich sein Körper darunter deutlich abzeichnete. Der Mann bemerkte sie nicht, obwohl sie vermeinte, sehr nahe bei ihm zu stehen. So nahe, dass sie erkennen konnte, dass er wahrhaftig Valerius Corvus’ Züge trug. Mit einer Ausnahme - die Narbe in seinem Gesicht war nicht vorhanden.
    Auf dem Dachfirst des Hauses stieg ein schwarzer Vogel auf. Laut krächzend schlug er seine Flügel und glitt dann über den Hof. Eine kleine, schwarze Feder taumelte im Sonnenlicht langsam zu Boden.
    Das Bild verschwamm langsam, und als sie endgültig die Augen öffnete, war es die zerstörte Seite, die Valerius ihr zugewandt hatte.
    Er spürte ihre Bewegung und schlug die Augen auf.
    »Du bist schon wach?«
    »Soeben aus

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