Der Siegelring - Roman
darauf, dass er ein Mann für mich ist?«
»Er ist ein Patrizier, war ein hoher Offizier, ist Ratsherr einer der größten Städte, ein Mächtiger in der römischen Politik.«
»Und ich bin eine barbarische Töpferin.«
»Nein, Annik, das bist du nicht. Und wärst du in unserer Heimat geblieben …«
»Ich bin aber hier, und er ist mein Herr und Arbeitgeber. So sind nun mal unsere Rollen festgelegt.«
»Du betrügst dich selbst, Annik. Hast du das Bett schon mit ihm geteilt?«
»Glaubst du, dass dich das etwas angeht, Martius?«
»Nein, nicht mehr, denke ich. Trotzdem, Annik. Ich mag dich sehr.«
Nun sah sie ihn liebevoller als vorher an, denn sie erinnerte sich an den langen Weg, den sie gemeinsam gegangen waren.
»Ja, Martius. Wir wollen Freunde bleiben.«
Er beugte sich vor und küsste sie auf die Wange.
»Ich werde bald etwas Zeit finden, dann besuche ich dich. Und nun werde ich sehen, dass ich auf mein Pferd komme, sonst versengt mir dein Herr mit seinen Blicken den Pelz. Leb wohl, Annik!«
Zwei Tage nach Valerius Corvus’ Abreise kam Ulpia Rosina in Anniks Werkstatt. Sie betrachtete die Gegenstände,
die am Morgen aus dem Ofen geholt worden waren, mit fachmännischem Interesse.
»Du hast etwas Neues probiert, sehe ich!«
»Ja, ich habe mit unterschiedlichen Farben gearbeitet. Aber es sieht nach dem Brennen anders aus als im getrockneten Zustand. Das Feuer verändert alles. Immerhin, das Rot ist schön geworden.«
»Ich habe beinahe klares Glas erhalten. Das solltest du dir auch ansehen.«
Die beiden Frauen verbrachten eine genussvolle Zeit mit dem Fachsimpeln über ihre jeweiligen Handwerkskünste, aber Annik dachte beständig daran, dass sie Valerius Corvus’ Bitte noch zu folgen hatte.
»Domina, ich werde gerne die neuen Stücke betrachten, die Ihr gefertigt habt, aber darf ich zuvor noch auf eine andere Sache zu sprechen kommen?«
»Annik, was ist los? Du siehst so ernst aus.«
»Es ist auch ernst, Domina. Und ich weiß nicht recht, wie ich anfangen soll. Es - ich mische mich nicht gerne in Euer privates Leben ein.«
Ulpia Rosina lachte leise auf.
»Du weißt vermutlich von meinem so genannten privaten Leben mehr als alle anderen. Geht es um meinen Gatten?«
»Zum Teil - ja.«
»Er hat vor drei Tagen die Nacht bei dir verbracht.«
»Er hat Euch nicht gesagt, warum?«
»Nun, das ist doch wohl nicht nötig.«
»Es wäre besser gewesen, er hätte Euch den Grund genannt. So aber müsst Ihr wohl annehmen, was die Gerüchte flüstern. Ich kann es Euch, wenn er geschwiegen hat, auch nicht sagen.«
Ulpia Rosina setzte sich auf einen Hocker und schlang ihre Palla etwas fester um die Schultern.
»Du bist eine aufrichtige Frau, Annik. Ich weiß das zu schätzen. Wenn er einen Grund hatte - einen anderen als den, der auf der Hand liegt -, dann wirst du ihn wirklich besser für dich behalten. Aber was ist es dann, was du mir so schonend beibringen willst? Du hast mich neugierig gemacht.«
»Wartet einen kleinen Moment.«
Annik ging in ihre Hütte und holte das Stilett, das in einer schlichten Lederscheide steckte. Sie reichte es Ulpia Rosina, die es verwundert betrachtete.
»Was ist das? Ein Dolch? Wem gehört er? Ist etwas geschehen?«
»Eins nach dem anderen. Ja, es ist ein Stilett, es gehört jetzt Euch, und was geschehen ist, wisst Ihr selbst recht gut. Im Wald, erinnert Ihr Euch?«
»Hat Falco dir das gegeben?«
»Nein, der Dominus. Er hat mich gebeten, Euch im Gebrauch damit zu unterweisen.«
»Große Minerva! Hat er etwa erfahren …?«
»Er hat erfahren, dass Ihr in den Wald gelockt worden seid.«
»Hast du es ihm gesagt?«
»Nein.«
»Dann muss es Falco gewesen ein. Oh, verdammt!«
Ulpia Rosina war aufgesprungen, und Annik staunte etwas über ihre Heftigkeit.
»Beruhigt Euch, Domina.«
»Sollst du mich in dem Gebrauch unterweisen, wie ich es mir am besten ins Herz stoße?«
»Aber nein, Domina. Ihr sollt lernen, wie Ihr einen Angreifer damit kampfunfähig macht.«
Mit ungläubigen Augen starrte Ulpia Rosina Annik an.
»Du meinst, er weiß nicht …«
»Ich denke, er weiß, und er sorgt sich um Euch. Domina, tut mir den Gefallen und lernt, wie man mit dem Stilett umgeht. Es ist schließlich nicht möglich, Euch auf Schritt und Tritt von einem Leibwächter begleiten zu lassen, nicht wahr?«
Ulpia Rosina ging einige Male in der Werkstatt auf und ab. Sie hatte sichtlich Probleme damit, das Gehörte zu verarbeiten. Annik schwieg. Schließlich blieb ihre Herrin
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