Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
Stachel-Lederjacke, der im Tumult einer Schlägerei eine junge Frau im Licht einer Straßenlaterne verprügelte. Einer mit blondem Haar – wie der Rothaarige mit Rücken zur Kamera – gab ihr mit einem Fußtritt den Rest und sie fiel in eine Hecke.
„Der Kommentator vermutet, das seid ihr gewesen. Da links war kurz ein Schneehaufen zu erkennen gewesen“, bemerkte Stas. „In Sotschi liegt aber kein Schnee. Die haben das irgendwo gestellt. Immerhin gibt der Sprecher zu, nicht mit letzter Gewissheit die Echtheit des Internetvideos überprüfen zu können, der Patriot Josef Adolew verbürge sich jedoch für die Echtheit der Aufnahme. Trotz der unsicheren Quellenlage will der Kommentator damit die Frauenfeindlichkeit, Brutalität und Skrupellosigkeit der westlichen Schwulen illustriert haben und Adolew lasse die Redaktion wissen, die schwangere Frau habe aufgrund der brutalen Attacke ihr ungeborenes Kind verloren. Danach kommt dasselbe wie letzten November, also die ganze Geschichte von der angeblich exzessiv radikalen, aggressiven Propaganda Homosexueller, die Russland in einen Kulturkrieg mit dem Westen führen könnte. Selbstverständlich kommt auch die Kirche zu Wort: Ein hoher Würdenträger der russisch-orthodoxen Kirche, der in der westlichen Homo-Ehe einen Vorboten des Weltuntergangs sieht, und so weiter und so fort.“
Stas klickte den Mittschnitt der Sendung weg.
Pizunda hatte die Prügel gegen die Frau nicht erwähnt. Daraus schloss Fabian, dass die Miliz das nicht weiter ernst nahm. Sonst hätte ihn der Agent bestimmt mit seinen Freunden verhaftet. Stas, Florian und Justin schimpften gemeinsam über das Video und fanden immer heftigere Vergleiche mit der nationalsozialistischen Propaganda. Fabian begann auf seinem Smartphone einen Flug nach Deutschland zu suchen, was offenbar alles andere als einfach war, denn die nach Westeuropa abgehenden Flüge waren hoffnungslos ausgebucht, selbst solche, die via Dubai zurück nach Hause führten. Zudem, wie sollte er Saubauer und Mayerhofer beibringen, er wolle die olympischen Spiele abbrechen?
Es klopfte. Romani rief sie zum Training.
„Dank Bernhard Russi habe ich eine gute, wenig überlaufene Ecke im Skigebiet gefunden für ein Riesenslalomtraining“, erzählte der Experte, während sich die Rennfahrer bereit machten. Fabian hatte seine Fluchtpläne aufgegeben. Wenn er nicht mit Romani mitgehen würde, wäre das definitiv das Ende seiner Karriere.
„Wir trainieren dort zusammen mit den Deutschen und Richard. Saubauer hat sich mit den anderen Schweizern den Österreichern angeschlossen und ist woanders für die Rennvorbereitung hingegangen“, plauderte Romani weiter. „Dies diene ausschließlich dem Zweck, wieder Ruhe in die Teams zu bringen, lässt der Trainer euch ausrichten. Selbst Wolfgang Sinowatz hat es nicht leicht mit den Dopingvorwürfen und der Verhaftung von Simon Pöschl.“
„Wie soll ich nach all den Ereignissen die Konzentration wieder finden, Bruno?“, fragte Fabian, als sie das Zimmer verließen.
„Das Problem haben die meisten anderen Teams auch. Also sind die Spieße wieder gleichlang“, versuchte Romani der Lage etwas Gutes abzugewinnen.
„Es braucht niemand viel Fantasie, um sich auszumalen, wie man im US-amerikanischen und italienischen Team fühlt, nach dem Ausschluss ihrer Spitzenfahrer wegen der Dopingsache. Zudem ist Pesis Wutausbruch bereits als Handy-Filmchen im Internet. Das wird dort nicht zum Ruhm des Teams aus Österreich beitragen.
„Ja, sicher! Hast du diese Aufmunterung von unserer Teampsychologin Heidi abgeschaut?“, fragte Justin mürrisch.
„Ich habe tatsächlich mit ihr gesprochen. Leute, wir – also der Alpin-Skisport – lebt von den Sponsoren. Die werden durch Skandale und Kontroversen abgeschreckt und geben dann ihr Geld lieber dem Langlauf oder dem Skispringen“, gab Romani zu bedenken.
„Was ist mit Menschenrechten und unserer Würde?“, fragte Florian trotzig.
„Eine Bank oder einen Konzern interessieren die Details der Ereignisse hier nicht. Die scheuen umstrittene Teams und Athleten, denn dort zählt nur eins: Transportiert der oder die Sportlerin oder die Sportart als Ganzes ein Image, das zur Werbestrategie passt. Ihr beide habt als schwule Sportler da schon von Anfang an einen Nachteil.“
Fabian hatte keine Lust, sich weiter auf eine Diskussion mit Romani einzulassen. Zu stark steckte ihm der Schock von der Durchsuchung noch in den Knochen.
„Das bedeutet, wir befassen uns ab
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