Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
Aktenkoffer. Er hatte einen gequälten Gesichtsausdruck. Sein Chef war mit einer Pistole an der Seite ausgerüstet und schaute den rothaarigen jungen Mann mit einem unternehmungslustigen Blick an – eine durchaus vertraute Militärszene, die Fabians Puls wieder beruhigte.
„Leutnant Luchsiger, Swiss Army“, stellte sich Fabian mit militärischem Gruß vor.
Der georgische Offizier nahm den Gruß ab und stellte sich und seinen Funker vor.
„Sie haben das Kommando über die Athletengruppe?“
„Ja, Prinz Richard ist mein Stellvertreter. Wir sind zehn Leute. Glücklicherweise sind Blasen an den Füßen und ein letztes Pfeifen im Ohr von den Explosionen vorhin die schlimmsten Verletzungen.“
Der Hauptmann notierte sich das auf einen Meldeblock, riss den Zettel ab und reichte ihn mit einem auf Georgisch gesprochenen Befehl an den Funker, der daraufhin ein paar Schritte abseits die Nachricht weiterleitete.
„Heute Nachmittag werden Sie in der Sondermaschine sitzen, die eigentlich nur für die andere Flüchtlingsgruppe nach Adler bestellt ist, aber in einem A310 wird genug Platz für alle sein. Deshalb wird die Maschine von Adler nach Kutaisi fliegen, damit Sie zusteigen können. So, junger Mann!“, kam nun der Offizier zu dem Teil, der ihn offenbar wirklich interessierte. „Die Su-24 hat dreimal ein Bodenziel mit Raketen bekämpft und ist dann abgeschossen worden.“
Fabian überlegte, ob es nicht besser wäre, das vorerst zu verschweigen.
„Na, komm, Schweizer! Die Rauchspuren im Gesicht sprechen eine deutliche Sprache!“, forderte der Offizier.
„Es war eine Stinger. Ich habe geschossen.“
Der Hauptmann lachte und klatschte sich auf die Schenkel. „Wir hätten die Schweizer zu Hilfe rufen sollen, dann hätte uns Putin Südossetien und Abchasien nicht stehlen können.“
Er befahl dem Funker etwas auf Georgisch, der daraufhin eine Landkarte aus einer Beintasche zog und sie dem Hauptmann reichte.
„Sie sind von Sotschi bis hierher gefahren? Unglaubliche Leistung! Wie haben Sie das Tuntenpärchen, das da dauernd in den Zeitungen stand, dazu gebracht, das durchzuhalten?“
Einen Moment lag Fabian ein Spruch auf der Zunge, um sich zu tarnen, aber damit würde er Russen wie Nikolai Alexejew, Stas und all die anderen Aktivisten verraten, die unter schwierigsten Umständen tapfer für die Homorechte auf dem Gebiet des ehemaligen Ostblocks eintraten. Also musste er allen Mut zusammennehmen und darauf hoffen, der Hauptmann wäre angesichts des alles filmenden Garchingers vernünftig genug, nicht gleich zuzuschlagen.
„Ich bin Fabian Luchsiger, habe zweimal Gold im alpinen Skisport gewonnen und bin ein Teil des Tuntenpärchens.“
„Ah ja? Gratulation zu den Medaillen“, meinte der Hauptmann verwirrt. „Wir bringen Sie über Khaishi nach Sugdidi. Dort gibt es Mittagessen und die Möglichkeit, sich in Hotelzimmern frisch zu machen, bevor Sie mit einer Sondermaschine ab Kutaisi nach Hause fliegen.“
Eine Stunde später wurden sie alle vom Militär in einem Hotel in der Stadt Sugdidi abgesetzt. Der Platz davor war bereits von der Polizei abgesperrt worden. Es schien Fabian, als wäre jeder Streifenwagen im Umkreis von hundert Kilometer dorthin beordert worden. Abgesehen von Garchinger filmte nur ein Fernsehteam die Ankunft. Die Anreise für die Paparazzi von Sotschi hierher war wohl zu lang und administrativ zu kompliziert gewesen. Die Kalaschnikows und den Abschussbehälter der Stinger ließen sie auf dem Pinzgauer Geländewagen zurück, mit dem sie hergefahren worden waren. Die Pistole und das Nachtsichtgerät gehörten der Eidgenossenschaft und mussten deshalb zurück in die Schweiz.
Der Bürgermeister ließ sich lieber mit Richard als mit Fabian fotografieren, da er auf orthodoxe Wähler Rücksicht nehmen musste. Nach einem knappen Händeschütteln ließ dann Richard den Politiker an der Hoteltür stehen; er wollte endlich duschen gehen.
Das Personal verteilte schnell die Zimmerschlüssel – nach Geschlechtern getrennt. Freie Zimmer gab es so nahe an der Grenze leider mehr als genug. In der Eile erhielten Richard und Fabian dasselbe Zimmer, obwohl er natürlich gerne eines mit Florian geteilt hätte, doch nur um schnell zu duschen und sich frische Kleidung anzuziehen – das Innenministerium hatte von einem Kaufhaus eilig Sachen bringen lassen –, wollte er nicht einen Volksaufstand riskieren.
„Fabian! Du verrückter Kerl! Dein Plan ist aufgegangen! Wir haben tatsächlich überlebt!“,
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