Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
lachte Richard, als sich die Zimmertür hinter ihnen schloss. Anschließend drückte er Fabian einen Moment, der davon überrumpelt wurde.
Mehr als ein schweizerisches „Schon recht!“ brachte er nicht heraus.
Dann kramte Richard sein Handy hervor und grinste „Netz überlastet“, aber er hatte ja noch das Satellitentelefon. Das Hoteltelefon wollte er grundsätzlich nicht benützen, da ja das Personal sowieso mithörte, was denn ein Prinz so Wichtiges zu erzählen hätte. Da Richard sofort zu Hause anrufen wollte, nutzte Fabian die Gelegenheit, als Erster unter die Dusche zu gehen. Als er die Augen unter dem Wasserstrahl schloss, sah er wieder den Kampfjet, der genau auf ihn zuhielt und feuerte. Dann dachte er wieder an den jungen Soldaten auf dem Beobachtungsposten, der aufgrund eines tragischen Missverständnisses hatte sterben müssen. Die Jungs im Schweizer Militär hatten keine Ahnung, wie das wirklich sei im Krieg, dachte Fabian. Er fühlte sich ausgezehrt und müde. Ob Garchinger je begreifen würde, wie knapp sie dem Tod von der Schippe gesprungen waren? Spätestens vielleicht, wenn er sein Filmmaterial schneiden würde. Gefallen durch „Friendly Fire“ war eben gar nicht so selten. Die russische Regierung glaubte bestimmt, über die Grenze fliehende Terroristen entdeckt zu haben. Oder hatte die Piloten bewusst auf sie geschossen wegen der homophoben Berichterstattung des russischen Fernsehens?
Als er aus dem Bad herauskam, telefonierte Richard noch immer.
„Der junge Schweizer Offizier ist nun bei mir … gerne. Wir sehen uns auf Windsor Castle.“
Der Prinz benutze sein normales Handy; anscheinend hatte er doch noch eine Verbindung bekommen. Er deckte das Mikrofon kurz mit seiner Handfläche ab.
„Meine Großmutter möchte ein paar Worte mit dir wechseln. Sprich sie beim ersten Mal mit Eure Majestät an, dann genügt Ma’am. Für die letzte Abschiedsfloskel nennst du sie wieder Majestät. Sie führt das Gespräch. Sei höflich, klare, knappe Antworten, kein Geplapper!“
„Ups!“, entfuhr es Fabian und er nahm tapfer das prinzliche Telefon in die Hand.
„Richard, habe ich die Queen schockiert?“, fragte Fabian. Richard, der mit Vanessa eine Reihe vor ihm im Bus saß, drehte sich kurz um und beruhigte, das Gespräch sei eigentlich sehr würdevoll gewesen.
Die Georgier hatten einen großen Reisebus organisiert, deshalb fanden die Olympioniken genügend Platz, um jeweils zwei Sitze zu belegen. Fabian und Florian hatten sich darauf geeinigt, nicht zusammenzusitzen, deshalb stand auf dem Sitz neben Fabian nur sein Rucksack. Seine Punkjeans waren ihm fast zu weit, die dazu passenden Stiefel lagen leider noch im olympischen Dorf. Sie wären viel zu sperrig gewesen, um sie auf die Flucht mitzunehmen. Er trug dafür alte Turnschuhe. Über die zu weit gewordenen Jeans hätten sich wohl viele gefreut, aber Fabian hatte keine Fettreserven, folglich hatte er Muskelmasse abgebaut. Das war für einen Spitzensportler keine gute Nachricht. Doch der Konkurrenz wie Pesenbauer und Justin würde es wohl nicht anders ergangen sein und Koslow würde nach dem Skandal nie mehr Rennen fahren. Die fingierte Entführung und der Versuch, Justin und Richard positive Dopingproben unterzujubeln, waren keine Bubenstreiche, die man mit einem Handschlag und dem Satz „Es war ja nicht so gemeint“ verzeihen konnte. Da steckte jede Menge kriminelle Energie dahinter und wohl eine Art Mafia, geleitet von diesem Adolew, der seinerseits vom Emir benutzt worden war, um möglichst viele Sicherheitskräfte in Sotschi zu binden und damit den Mountain Cluster zu entblößen.
Wenn sich wegen Richard nicht mächtige britische Geheimdienste für Koslows Betrügereien interessiert hätten, wer weiß, ob er selbst inzwischen nicht in einem russischen Gefängnis sitzen würde oder zumindest die Sportlerkarriere zu Ende gewesen wäre, überlegte Fabian.
Justin saß auf der anderen Seite des Gangs und beanspruchte ebenfalls zwei Sitze, Stas gleich dahinter.
Nach anderthalb Stunden Busfahrt kam der Flughafen in Sicht.
„Justin, Fabian, was wird aus Stas?“, fragte Vanessa und blickte erst zu Fabian und dann herüber zu Justin.
„Es ist geplant, dass ich mit dem Lastwagen eures Teams zurückfahre, sobald das möglich ist“, erklärte Stas.
„Dann schauen mein Vater und ich, dass er eine Ausbildungs-Aufenthaltserlaubnis bekommt. Was genau er in Zürich studieren wird, werden wir dann sehen“, ergänzte Justin.
Bei der Vorfahrt
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