Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
dem Abschussrohr geworfen, zündete ein paar Meter vor Fabian ihr Triebwerk und schoss mit einer dünnen Rauchfahne los. Der anfliegende Jet stieß grell leuchtende Täuschkörper ab. Keiner musste extra befehlen, sich flach hinzulegen! Alle bis auf Garchinger warfen sich in den Schnee. Fabian blickte einen Moment hoch. Ein trudelndes, rauchendes, großes Etwas schoss ihm entgegen. Die Stinger hatte ihr Ziel gefunden. Er drehte sich so, dass sein Rucksack gegen die anfliegenden Trümmer gerichtet war. Am Hang neben ihm knallte, knirschte und krachte es metallisch, als wäre ein Lastwagen mit Tempo hundert in einen Schrottplatz gefahren. Danach wurde es unglaublich still. Fabian traute sich aufzublicken. Zwei Fallschirme wurden vom Wind nach Südwesten getragen. Die Piloten hatten offenbar im letzten Moment den Schleudersitz betätigt. Einer der Männer schwebte so dicht über Fabian hinweg, dass der glaubte, mit seinem Gegner einen Moment Blickkontakt zu haben, bevor der Mann außer Sicht entschwand und wohl gleich auf einem Schneefeld aufsetzen würde.
„Putin mag es nicht, wenn man seine Jets abschießt!“, bemerkte Stas.
„Hier werden jeden Moment weitere Kampfflieger und Rettungshubschrauber aufkreuzen, die uns für Terroristen halten“, warnte Florian.
„Wir sollten schnell über die Grenze verschwinden! Bis zum Wald! Fahrt schneller als auf der Streif! Hopp! Auf! Auch du, Garchi!“, trieb Fabian seine Gruppe an und fuhr nun selbst mit schnellen Schwüngen hinunter zu den anderen. Vanessa, Hansi und Florian standen um ein Fahrwerk herum, das von der Wucht des Aufpralls auf die georgische Seite hinübergeschleudert worden war. Auch alle anderen schienen mit dem Schrecken davongekommen zu sein.
Justin ging mit gutem Beispiel voran und sauste in der Hocke vom Sattel hinunter. Sie mussten von diesem Präsentierteller weg, bevor Putin seine ganze Luftwaffe schickte. Unter normalen Umständen wäre die Talfahrt im Pulverschnee und beim perfekten blauen Himmel ein Erlebnis gewesen, aber eine Zweierstaffel noch hoch fliegender Jets mahnte zur Eile. Sie befanden sich zwar schon eindeutig auf von Tiflis kontrolliertem Gebiet, aber ganz sicher war sich Fabian nicht, ob die Russen das respektieren würden.
Nach zehn Minuten Schussfahrt hatten sie die Talsohle erreicht. Neben ein paar Wiesen gab es auch Wald. Da der Bach in diesem Seitental weitgehend gefroren war, konnten sie ihn wie einen Weg nutzen, um nun tiefer nach Georgien hineinzufahren.
Nach wenigen Kilometern rief Damien: „
La haut
!“ und deutete hinauf zum Gegenhang. Dort verlief eine Straße, auf der Militärfahrzeuge standen. Richard und Justin deuteten mit aufgeregten Handbewegungen an, man sollte im Wald Deckung suchen. Fabian fischte sein Leinentuch aus dem Rucksack und benutzte es als Tarnung.
Zwei Radpanzer standen je unter einem Baum am Straßenrand. Ein Tarnnetz sollte wohl die Stellung zusätzlich verbergen, was aber offensichtlich nur mäßig gelang. Zudem rauchte einer der Soldaten im Tarnanzug ungeniert eine Zigarette.
„Stas, sind das Russen oder Georgier?“
Der Guide blickte lange mit einem Fernglas hinüber.
„Leute in Tarnanzügen, vermutlich Georgier“, meinte der schließlich, was Fabian nicht weiterhalf.
Sein Gefühl sagte ihm, dass die Radpanzer auf der anderen Seite des Flusses Georgier waren. Putin würde einen neuen Krieg mit Georgien anzetteln, wenn er seine Truppen so weit vorstoßen ließe. Sie waren immerhin bereits circa drei Kilometer von der Grenze entfernt. In der Schweiz wäre er einfach fragen gegangen. Doch in dieser Gegend schwelte ein bewaffneter Grenzkonflikt. Deshalb könnte es gefährlich sein, einfach aus dem Wald aufzutauchen. Er überlegte, ob er Richard bitten sollte, nochmals in London anzurufen, doch da war wohl der Dienstweg viel zu lang, bis das beim Kommandanten der Einheit oben auf der Straße ankommen würde. Außerdem konnte er ja nicht zurück ins russisch kontrollierte Abchasien gehen. Ein internationales, uraltes Zeichen wäre wohl hilfreicher als der diplomatische Dienstweg. Er brach an einer Tanne einen dürren Ast ab, trat auf die freie Wiese und schwenkte damit das Leintuch als weiße Fahne.
„Jetzt blickt einer mit dem Fernglas zu uns“, meldete Stas.
Nun machte sich tatsächlich ein Offizier zusammen mit einem Funker auf den Weg von der Straße in den Wald hinab. Fabian ging den beiden entgegen bis zum Bach. Der Soldat trug sein Funkgerät am Rücken und das Gewehr wie einen
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