Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
des Starthäuschens ab, dass seine Bindung beinahe aufgeflogen wäre, und dann fuhr er durch das Wintermärchen der frisch verschneiten Tiroler Landschaft: „Klack, klack, klack“ schlug er die Torstangen links, rechts, links zur Seite und versuchte, millimetergenau an deren im Eis verankerten Gelenken vorbeizufahren. Die Kuhglocken dröhnten – das half. Als Liechtensteiner betrachteten ihn die Schweizer ja halb als ihren Landsmann.
Da hatte der Innenski etwas zu stark gegriffen – egal! Klack, klack, klack – ein kleiner Sprung über eine Kante und nun lag auch schon das Ziel in Sicht. Rechts, links, nochmals links und dann wieder den Rhythmus finden! Ski, Schnee, Tempo, Bewegung! Das gefiel Justin. Noch kurz in die Hocke und nach hinten absitzen, um ein paar Millisekunden bei der Zeitschranke zu schinden, wie es Florian immer machte, und dann der Blick auf die Anzeige: +0.00 – nur Gleichstand mit dem noch führenden Richard. Er hatte den kleinen Vorsprung auf den Prinzen verspielt, den er aus dem ersten Lauf mitgebracht hatte. Seine Fahrt sei zu wenig aggressiv gewesen, dachte er sich. Im ersten Moment war er enttäuscht, Richard hingegen zeigte ein entrücktes Lächeln, er schien sehr zufrieden mit seinem Lauf zu sein und nahm gerade über die Absperrung zum Publikum hinweg Vanessas Glückwünsche entgegen. Richard und er würden ja das Rennen im schlechtesten Fall als Sechste beenden, da nur noch fünf Läufer oben am Start standen. Er hielt seine Ski kurz in die Kamera und ging direkt zu Richard auf die Position des im Moment Führenden.
Schweizer Kuhglocken dröhnten, Jens Chalbermatter war unterwegs – und plötzlich, gerade als Justin Richard gratulierte, wurde es still: Sein Teamkollege Jens lag im Schnee. Eine Minute später ging es einem Österreicher nicht besser: Simon Pöschl rutschte schon in einem der ersten Tore weg. Das war wohl reine Nervensache gewesen, denn nicht nur im Schweizer Team würde bald entschieden, wer ein Ticket nach Sotschi bekommen würde.
Es gehörte sich selbstverständlich nicht, sich darüber zu freuen, wenn jemand ausschied, das wusste Justin, aber das Missgeschick eines Kollegen bedeutete im zweiten Lauf eines Slaloms, dass man selbst im Klassement einen Rang weiter nach vorne kletterte: Nun würden Richard und Justin dank der Ausfälle mindestens auf Rang fünf liegen und die Spannung wuchs, denn ihre Zeit könnte vielleicht sogar für mehr reichen. Allmählich stieg ihm ein euphorisches Gefühl in den Kopf. Rang fünf bedeutete 45 Weltcup-Punkte! Wenn vielleicht noch einer bei einer Torstange einfädeln würde, dann … Aber an so etwas Böses durfte man nicht einmal denken, das könnte Unglück bringen.
Auf der Piste näherte man sich der Entscheidung. Alles hielt den Atem an, als David Koslow mit einem Sicherheitslauf seinen Vorsprung ins Ziel rettete und ebenso Jörg Pesenbauer, womit sie Richard und Justin im Klassement nach hinten schoben. Die Ehre Österreichs war gerettet, denn Jörg würde mindestens Dritter werden. Die Erleichterung war dem Tiroler ins Gesicht geschrieben – und nun hieß es: „
Go, go, go
, Ski-Punk!“
Fabian begann recht nervös und wäre in einem der Tore beinahe zum Stehen gekommen. Das wirkte sich auf die Zwischenzeit aus; er fiel hinter Koslow und Jörg zurück, doch der wilde Kerl fuhr nun auf volles Risiko und ließ keinen Millimeter mehr zwischen den Torstangen und seinen Skiern. Sein Kumpel müsse verrückt sein, dachte Justin – er konnte nicht mehr hinsehen und erwartete jeden Moment, dass das Dröhnen der Treicheln wieder verstummen würde.
„Da gab es oben einen Schlag, der nicht in Saubauers Streckenplan war!“, protestierte Fabian, aber mit einem breiten Grinsen.
„Der Coach hat das nicht vergessen. Er hat ihn sogar mit einem Ausrufezeichen markiert“, erinnerte sich Richard.
Fabian warf den Ski, den er eben für die Kamera ausgezogen hatte, einem Betreuer zu und rutschte auf dem anderen zu den Kollegen bei der Sponsorenwand hinüber, wo er sich auch den zweiten Ski auszog, um ihn deutlich sichtbar zu zeigen, wie das eben von den Sponsoren verlangt wurde.
„Du gibst dich nicht so leicht geschlagen“, sagte David Koslow in einem etwas bitteren Tonfall zu Fabian, da er auf den vorläufig dritten Platz zurückgefallen war. Er gratulierte ihm aber dennoch mit einem Handschlag.
„Mit seinem aggressiven Lauf wird Luchsiger wohl Zweiter, denn nun folgt als letzter Teilnehmer der Führende des ersten Laufs, Mr
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