Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
hier. An der Selektionssitzung am Montag in Schladming würde sich erst zeigen, was dieses Wochenende für sie beide tatsächlich wert war.
Fabian musste unterwegs Garchinger von der ARD ein Statement abgeben. Vanessa nutzte die Gelegenheit, um mit Justin bei einer Würstchenbude etwas zu trinken. Ihr ernster Gesichtsausdruck verriet ihm, was nun kommen würde. Er begnügte sich mit einem Mineralwasser und einem Stück Brot ohne Wurst. Sie wollte erst einen Espresso, doch da es in der Bude nur Kaffee aus der Kanne gab, verzichtete sie und kaufte ein Lightgetränk.
„Vanni, das mit Richard wird wohl was Ernstes“, kam Justin gleich auf den Punkt. „Du hast in Wengen vermutlich nicht aus reiner Gefälligkeit für ihn die Fremdenführerin aufs Jungfraujoch und von dort auf den Gipfel des Mönchs gemacht?“
Sie drehte den Rücken gegen den Nachbartisch, aber im Volksmusikgedudel, das ein Lautsprecher an der Bude von sich gab, konnten die anderen Leute schwerlich etwas mitbekommen.
„Beruhige dich. Falls man dich nach Sotschi fliegen lässt, werde ich selbstverständlich als deine offizielle Freundin nach Russland mitkommen, um dich vor Putins schrecklichen Anti-Homo-Gesetzen zu beschützen. Aber dieser Spagat, in Zürich offen in der Schwulen-WG und hier der heterosexuelle Skirennfahrer? Das ist doch schizophren, oder nicht?“
„Ich bin ja noch Teenager.“
„Nur noch ein paar Monate lang. Also kann man wohl erwarten, dass du dir über deine Gefühle im Klaren bist. Ich möchte mein eigenes Leben führen und nicht nur für dich eine Fassade aufrechterhalten.“
Was hätte Justin anders antworten sollen, als: „Selbstverständlich hast du ein Recht auf ein eigenes Leben und ich werde versuchen, nach Sotschi mein Gefühlsleben auf die Reihe zu bekommen.“
Sie redete noch eine Weile von Matthew Mitcham und Robbie Rogers, beides offen schwule Spitzensportler, wohl um ihm die Angst vor einer Zukunft ohne Alibifreundin zu nehmen, doch er konnte sich ein Outing im bodenständigen, oft in konservativen Skisportorten stattfindenden Skiweltcup nicht vorstellen. Was würden Saubauer, seine Kumpels, die Fans und vor allem die Sponsoren zu einem schwulen Skirennfahrer sagen? Andererseits würde er sich gerne wie der Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit selbstbewusst hinstellen und allen sagen, er sei schwul.
Der Föhnsturm
Eine frühlingshaft milde Sturmbö rüttelte plötzlich am Lastwagen, als Fabian beim Verstauen der Ski half. Durch das sich öffnende Föhnfenster funkelten noch die letzten Sterne in der stärker werdenden Morgendämmerung. Saubauer hatte ihm eben mitgeteilt, am heutigen Tag, den 27. Jänner, finde ja die Selektionssitzung für Sotschi statt, er sollte pünktlich um halb zwölf in Schladming sein, denn Doktor Graber werde extra von Flughafen Salzburg kommend zum Team stoßen, um bei dieser so wichtigen Sitzung anwesend zu sein. Das Alpin-Herrenteam sei ja das Flaggschiff der Schneesportarten, was die Medienaufmerksamkeit angehe. Der am darauffolgenden Tag dort stattfindende Slalom könnte das letzte Rennen vor Sotschi sein, denn die Schneereste, die der Regen vom Sonntag dort übrig gelassen hatte, würden nun dem Föhnsturm zum Opfer fallen.
Als Fabian ein Paar lange Abfahrtsrennski hochreichte, dachte er an die Kandahar-Piste in Garmisch-Partenkirchen. Diese berühmte Strecke hinuntersausen, das hätte ihm schon gefallen, aber der Skirennsport fand nun einmal in den wetterlaunischen Bergen statt. Der nächste Windstoß schmiss am Straßenrand eine Absperrung um und die Berge schienen näher zusammenzurücken in der kristallklaren Föhnluft.
“Luchsi, möchtest du mit mir nach Schladming fahren?“ Der Angesprochene reichte gerade Damiens Slalomski auf die Ladefläche hoch zu Klaus und drehte sich verwundert um. Florian Häusle war mit einem roten Audi-R8 Sportwagen längsseits zum LKW des Schweizer Teams gefahren und hatte die Seitenscheibe untergelassen. Fabian blickte fragend zu seinem Onkel, der mit einem Grinsen meinte: „Geh nur, wir kommen schon klar.“ Schnell holte er in einem ersten Impuls seine Tasche und seine privaten Ski vom Lastwagen herunter. Doch er fragte sich, ob eine zweistündige Autofahrt nach Schladming alleine mit Florian tatsächlich eine gute Idee war. Er stand ja kurz davor, sich in das strohblonde Slalomgenie zu verlieben, und konnte nicht abschätzen, wie der reagieren würde, wenn diese Gefühle gegen außen zu deutlich sichtbar würden. Er
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