Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
nicht nur um seine ersten Weltcup-Punkte, sondern auch um eine Startberechtigung bei den olympischen Spielen. Für Fabian musste es ein Platz unter den ersten sieben sein, um die vergangenen Pleiten im Spezialslalom ausbügeln zu können; für Justin würde als Liechtensteiner ein fünfzehnter Platz genügen, um in Sotschi auch einen Slalom fahren zu dürfen.
Die dreißig Besten aus dem ersten Lauf machten im abgesperrten Bereich um das Starthaus ihre Lockerungsübungen, gingen in Gedanken den Parcours durch und grübelten darüber nach, ob sie mit einer defensiven Fahrt ein paar Weltcup-Punkte mitnehmen oder mit einem angriffslustigen, aber risikoreichen Lauf um die Podestplätze kämpfen wollten. Justin blickte auf die sich von Westen her nähernden Wolken; in Garmisch-Partenkirchen sollte es bereits regnen. Doch in Kitzbühel lag noch Kaltluft im Tal und die Sonne sorgte für gute kontrastreiche Lichtverhältnisse. Für ihn mit seiner Platzierung auf Rang 9 war die Taktik klar: Er wollte den Platz halten oder höchstens leicht zurückfallen – das war richtiger, als weiter vorstoßen zu wollen und bei einem Patzer möglicherweise mit leeren Händen dazustehen. Darüber hinaus würde ihm ein gutes Abschneiden jetzt im Hahnenkamm-Slalom auch endlich ein paar Slalom-Punkte bescheren, damit ihn der liechtensteinische olympische Sportverband LOSV auch in dieser Disziplin bei den Spielen starten lassen würde. Von Anfang bis Schluss bei der Olympiade dabei sein zu dürfen – das wäre was, dachte er sich.
Justin übergab seine Slalomski an die Serviceleute, die unter der Leitung von Fabians Onkel Klaus Linthaler standen, damit sie noch letzte Handgriffe daran ausführen konnten; die beiden hatten soeben die Skier des Schweizer Slalomspezialisten Damien Vincent fertig präpariert. Da fühlte er plötzlich eine Skistockspitze an seiner Wade –
en garde
! Und schon fochten Fabian und er wieder als Musketiere im Dienste Louis XIII. um die Ehre Frankreichs.
„Aber sonst fehlt euch beiden nichts im Kopf?“ Saubauer hatte Justins Stock gepackt. „Ihr kommt beide unter die ersten zwölf oder es gibt kein Mittagessen heut’! Außerdem hat der Frehsner Karl seinen Fernseher eingeschaltet – wenn der das gesehen hätte! Kindsköpfe!“
Justin musste sich eingestehen, dass der Trainer wohl recht hatte. Immerhin filmte inzwischen auch eine Kamera des ORF im Warteraum. Die beiden Jungs machten nun traditionellere Aufwärmübungen wie alle anderen auch.
„Seid ihr bereit?“ Prinz Richard trat in den Warteraum.
„Mehr oder weniger, Eure Hoheit – ich meine Richard –, wir haben gerade die fiesesten Sachen über den zweiten Lauf auswendig gelernt“, antwortete Fabian.
„Darf ich einen Blick darauf werfen, falls ihr damit keine Staatsgeheimnisse ausplaudert?“ Der Prinz mit dem kurzen roten Haarschnitt deutete auf das Klemmbrett, das zwischen Justin und Fabian lag.
„Man ist ja Sportsmann“, meinte Justin und reichte ihm das Brett, nachdem er sich überzeugt hatte, dass Saubauer nicht in der Nähe war. Er wusste nicht, ob Monti ihn inzwischen aufgeklärt hatte. Der Prinz bedankte sich artig, sie setzten sich auf ein Mäuerchen und er begann, den Plan mit den vielen Notizen darauf ernsthaft zu studieren; manchmal stellte er Justin und Fabian die eine oder andere Frage dazu. Ein Fotoreporter knipste die Szene, danach noch ein zweiter. Gelegentlich nahm sie sogar die Warteraumkamera des ORF ins Visier. Viel Zeit würde Monti wohl nicht mehr haben, falls er Saubauer noch nicht Bescheid gesagt hatte.
Das Rennen begann. Der Dreißigste des ersten Laufs machte sich auf den Weg, um den anspruchsvoll gesteckte Parcours zu bewältigen. Danach würden der 29. und der 28. aus dem ersten Durchgang starten, bis schließlich Florian, der im Klassement des ersten Laufs führte, als Letzter an die Reihe kommen würde. Allein schon von solch berühmten Leuten wie Prinz Richard ernst genommen zu werden, war all das Training und die Rückschläge in Wengen wert, dachte Justin stolz.
„Saubauer!“, warnte Fabian leise und Richard setzte sich schnell auf das Klemmbrett. Der Kärntner ging aber zu seinem Schützling Patrik Moser hinüber, um etwas mit ihm zu besprechen, und beachtete die drei auf dem Mäuerchen nicht weiter.
Der Lautsprecher verkündete, dass der Dreißigste durchgekommen sei, der nachfolgende Läufer fädelte jedoch bei der ersten Torstange nach einem fiesen Rhythmuswechsel ein und stürzte. Mehr und mehr begann
Weitere Kostenlose Bücher