Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
seinen Sitznachbarn Patrik Moser.
Fabian versuchte möglichst niemanden anzublicken und so zu tun, als ginge ihn das Hickhack zwischen Mayerhofer und Chalbermatter überhaupt nichts an, da er fürchtete, dass in dieser aufgeheizten Stimmung ein falsches Wort ihn um das Ticket zu den Winterspielen bringen könnte. Romani hatte die Formel zur Berechnung des Gesamtergebnisses der Weltcup-Punkte in der Superkombination inzwischen geändert. Das Tabellenkalkulationsprogramm berechnete aber nicht wie von Jens vorhergesagt 64, sondern 78 Punkte für Fabian.
„Du hast dich wohl vertippt, Bruno?“
„Nein, die Weltcup-Punkte, die Fabian von den beiden Superkombinationsrennen in dieser Saison mitbringt, werden sicher nicht durch zwei geteilt.“
„Ihr wollt also wegen der Fernsehquote unbedingt die rothaarige Schwuchtel mitnehmen?“, explodierte Jens. „Sind wir bei
Deutschland sucht den Superstar
oder im Spitzensport?“
„Jens, du darfst ja mitfliegen!“, wollte Romani beruhigen, erreichte aber das Gegenteil.
„Mitfliegen als der Skiträger vom Pink-Punk? Ganz sicher nicht! Der Luchsiger hat noch nie einer Frau in den Ausschnitt geguckt! Sesselfurzer, alle zusammen!“ Jens stand auf, schritt hinter der Sitzreihe durch zur Schiebetür und riss sie so heftig auf, dass diese mit einem lauten Wumm in ihren Anschlag sauste und danach einen Moment lang vibrierte.
Fabian setzte weiterhin ein Pokerface auf, aber es traf ihn jedes Mal mitten ins Herz, wenn „schwul“ und wie vorhin „Schwuchtel“ im Sport trotz aller Aufklärungsversuche noch immer gedankenlos als Schimpfwort verwendet wurde. Er hoffte, dass Jens ihn damit nur beleidigen wollte und nichts Konkretes über seine sexuelle Orientierung wusste.
„So, Sesselfurzer sind wir – du saudummer Bergbauer!“, rief ihm Mayerhofer mit rotem Kopf nach, stand auf und zog die Tür mit noch mehr Kraft zu, als Chalbermatter sie aufgestoßen hatte, so dass sie zuknallte wie ein Gewehrschuss; sie federte zurück und Mayerhofer zog sie wieder zu, dabei knirschte sie seltsam. „Vor dem Präsidenten sich so benehmen – der kommt sicher nicht mit!“, wetterte er.
„In solchen Momenten gehen die Emotionen mit einem durch“, versuchte Romani, wieder Sachlichkeit in die Diskussion zu bringen. „Sein Leistungsausweis ist doch beachtlich, vielleicht im Riesenslalom …“, doch Mayerhofer fuhr ihm über den Mund: „Ohne uns Funktionäre würdet ihr alle nur Bubenrennen abseits der Pisten machen können!“
„Ganz recht, Ruedi!“, pflichtete ihm Graber bei.
Romani atmete einmal durch. „Damit hat sich dann wohl das Problem des Gleichstandes zwischen Jens und Fabian im Riesenslalom zugunsten des Glarners gelöst.“ Dann blickte er den Skirennfaher Pius Caflisch an.
„Ich komme auch gerne nur als Ersatzfahrer mit“, bestätigte der.
„Bravo, endlich mal eine sportliche Einstellung. Er darf dafür als Vierter im Super-G starten aufgrund der vorhin zitierten Ausnahmeregelung für Nachwuchstalente“, freute sich Mayerhofer. Pius hatte zwar kürzlich seinen achtundzwanzigsten Geburtstag gefeiert und fuhr seit sieben Jahren im Weltcup mit. Zudem war die Entscheidung anhand der Tabelle überhaupt nicht nachvollziehbar.
„Ein Problem, Bruno?“, fragte Mayerhofer.
„Man muss ja auch die Torentscheidungen in den Weltmeisterschaftsspielen Deutschland gegen England akzeptieren“, antwortete Romani ungewöhnlich ironisch und spielte dabei auf die berühmtesten Fehlentscheide der Fußballgeschichte an.
Romani tippte nun eine E-Mail an den Selektionsausschuss von Swiss Olympic
,
in der er nun Pius Caflisch, Conradin Caratsch, Patrik Moser, Fabian Luchsiger, Jonny Ulrichen und Damien Vincent offiziell im Namen von Swiss-Ski als Aktive für die olympischen Spiele vorschlug. Die Betreuer waren bereits auf andere Weise angemeldet worden.
„Wir sollten auch Justin nicht vergessen“, mahnte die Psychologin Heidi. „Schaut euch einmal die Weltcup-Punkte in der Kombination an. Ich war zwar in Mathe immer katastrophal schlecht, aber seine 94 sind doch besser als Conradins 85 Punkte!“
„Er startet für Liechtenstein, gnä’ Frau“, stellte Saubauer hämisch fest.
„Ja, gutes Stichwort, Heidi“, ging Mayerhofer dazwischen, der wohl dankbar war, nun von der Diskussion um Chalbermatters Ausschluss wegzukommen. „Cesare hat das Wort!“
„Ich habe telefoniert mit Delegationsleiterin von olympischer Mannschaft von Liechtenstein“, erklärte der Teamchef. „Sie
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