Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
Bundesrat, bitte!“
„Grüezi. Die Schweiz und die Welt schauen auf Sie. Ich will keine lange Rede halten; Sie wissen alle, worum es geht. Einen kleinen sportlichen Anreiz möchte ich trotzdem liefern. Jetzt sitzen die Funktionäre in der First- und Businessklasse, aber auf dem Rückflug werden diese Plätze nach dem Medaillenspiegel aufgefüllt. Ich hoffe doch sehr, dass Herr Doktor Graber dann aus Platzmangel in der Economy sitzen muss. Hopp Schwiiz und guten Flug! Ach, ja – viel Glück auch für die Sportler aus Liechtenstein!“
Bald darauf hob die Maschine durch den Hochnebel ab und drehte dann in einer weiten Kurve gegen Osten. Die beiden saßen rechts im Flugzeug, so konnten sie die Alpen sehen. Fabians weitester Flug bisher hatte nach Gran Canaria geführt, denn zu den Weltcup-Rennen in Amerika hatten die beiden Nachwuchsskifahrer aus Kostengründen nicht mitgedurft.
Ein Orangensaft lenkte sie erstmals von der Aussicht ab und dann kam auch schon München mit seinem Olympiaturm in Sicht. Dort hatten vor langer Zeit Sommerspiele stattgefunden, die leider von einer Geiselnahme überschattet gewesen waren, erinnerte sich Fabian. Das Flugzeug drehte nun in einer markanten Rechtskurve nach Südosten ab. Das Wetter wurde zunehmend wolkenreicher und turbulenter, aber in einer Lücke glaubte der am Fenster sitzende Justin den Hahnenkamm erkannt zu haben. Fabian streckte sich zwar an ihm vorbei zum Fenster, war aber zu spät, um Kitzbühel selbst zu sehen. Dann flogen sie nur noch zwischen dem dunkelblauen Himmel und einem Meer aus schneeweißen Wolken; immer wieder schien das Flugzeug über Wellen zu reiten.
Fabian wurde von der Stewardess zu Mayerhofer nach vorne gebeten, trotz Anschnallpflicht für die Passagiere. Das konnte nur Schwierigkeiten bedeuten. Er dachte erst daran, dass womöglich eine seiner Dopingproben von Kitzbühel positiv getestet worden sei. In diesem Fall hätte er gleich wieder zurückfliegen müssen.
Der Funktionär erwartete ihn bereits bei der Galley der Businessklasse. Dort wurden gerade die Mahlzeiten gewärmt. Mayerhofer trug die Zeitung
Blitz
in der Hand, blickte Fabian einen Moment an, als müsste er nach den richtigen Worten suchen.
„Wie stehen Sie zum Deutschen Florian Häusle?“
Fabians Puls schnellte hoch. Wusste der Funktionär Bescheid? Er hoffte, der Chef habe nur Bedenken, dass er mit seinem Schwarzwälder Kumpel über mannschaftsinterne Geheimnisse plaudern würde.
„Wir kommen gut miteinander aus. Mir ist schon bewusst, dass wir sportlich Konkurrenten sind. Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Mayerhofer. Wir plaudern nur allgemein über Sport sowie Autos und Mädchen.“
„Letzteres glaube ich Ihnen nicht mehr“. Mayerhofer schlug den
Blitz
auf und zeigte ihm eine Seite. „Da ist ein Foto abgedruckt von Ihnen und Häusle, wie Sie sich küssen.“
Tatsächlich! Fabian starrte auf das Bild. Jemand hatte Florian und ihn von schräg oben in der Klokabine fotografiert.
„Ich nehme an, das ganze Gestürm wegen Putins Schwulengesetzen haben Sie mitbekommen“, fuhr der Funktionär in strengem Tonfall fort. „Also halten Sie bei den Russen einfach den Ball flach deswegen und konzentrieren Sie sich auf den Sport. Falls Sie ein Journalist nach dem Foto fragt, dann antworten Sie, aus Rücksicht auf die russische Gesetzgebung, würden Sie zu Ihrem Privatleben keine Fragen beantworten.“
Fabian fühlte sich völlig überfordert und wusste nicht, was er sagen sollte. Er konnte mit dem Chef seines Chefs kein Gespräch über seine Gefühle für Florian führen, ließ den Funktionär stehen und eilte wie im Alptraum zurück an seinen Platz.
„Luchsi, was hat der Mayerhofer gewollt?“, fragte ihn Justin.
„Nichts Wichtiges“, kam leise die Antwort. Er konnte nicht reden und setze sich sofort die Kopfhörer auf. Sein Sitznachbar schaute ihn einen Moment lang fragend an, zuckte dann mit den Schultern, zog den
Blitz
aus dem Zeitschriftennetz und wollte sich zurücklehnen.
„Wer liest schon solchen Schund, Justin?“, reagierte Fabian prompt. Ohne einen Kumpel würde er es in Sotschi nicht aushalten. Eines war für ihn klar: Wenn sein Sitznachbar das Foto sehen würde, wäre das das Ende ihrer Freundschaft. „Ich habe Jass-Karten im Handgepäck – spielen wir eine Runde!“ Er legte den Kopfhörer beiseite und wollte aufstehen.
„Ist öde, nur zu zweit Karten zu spielen. Easy, Luchsi – wir sind alle angespannt. Willst du mal ans Fenster?“, bot ihm Justin
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