Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
normalisierte sich alles wieder: Hier gab es weder Fernsehkameras noch Fans, sondern nur ganz gewöhnliche Passagiere. Auf dem Weg zum Gate trafen sie das für Liechtenstein startende Eiskunstläufer-Paar an. Er war ein dünnes, blondes Bürschchen, obwohl er schon etwa dreißig Jahre alt war, seine Partnerin glich besonders bei der Frisur der in der Ukraine inhaftierten Oppositionsführerin. Fabian überragte ihn um mehr als einen Kopf. Das Paar hatte bei der letzten Weltmeisterschaft, bei der es für die Ukraine gestartet war, Silber gewonnen. Dann waren die beiden bei ihrer Regierung in Ungnade gefallen und versuchten nun ein Comeback bei den Olympischen Spielen unter liechtensteinischer Flagge. Für ihre Einbürgerung hatte sich der Fürst persönlich starkgemacht.
Für die Olympioniken blieb aber keine Zeit zum Shoppen, sie fuhren gleich mit der Mini-U-Bahn zum Midfield-Terminal, der fast nur mit rot-weißen Jacken gefüllt war. Patrik, Jonny und Damien trafen sie dort wieder; der Saubauer sei schon weiter vorne, erklärten die drei.
„Und wohin möchte der blonde, junge Mann in der blau-roten Jacke?“, fragte bei der Sicherheitsschleuse zum Warteraum eine grimmige Security-Frau, der Justin im Rudel der Schweizer Olympioniken wohl aufgefallen war. Sie hatte den Nerv, bei der Fluggesellschaft Swiss anzurufen, um sich bestätigen zu lassen, dass es überhaupt eine Liechtensteiner Delegation gab, obwohl ihr Fabian, Jonny und sogar der Trainer der Langlauf-Damen versicherte, der aschblonde Lausbub würde dazugehören, und er außerdem ja eine Bordkarte besaß.
Das sei eben eine der kleinen Anekdoten gewesen, die man sich später immer wieder gegenseitig erzählen würde, tröstete der erfahrene Jonny die zwei Neulinge. Vom Warteraum aus schauten die beiden zu, wie der A330 ans Fingerdock gerollt wurde, festlich geschmückt mit Schweizer Fähnchen an den Cockpitfenstern.
„Du wirkst so ruhig – kein bisschen nervös?“, fragte Fabian.
„Das täuscht, Luchsi!“, gab Justin zu.
Selbstverständlich hatten sie beide Schmetterlinge im Bauch – schon allein deshalb, weil er hier viele berühmte Sportler aus der Nähe sehen konnte. Bisher waren ja eigentlich Jonny Ulrichen und Bruno Romani die einzigen Olympia-Medaillengewinner, die Fabian nicht nur vom Fernsehen her kannte, und nun stellten die beiden Jungs sich mit den Sportstars am Gate an.
Die Bodenstewardess verteilte allen ein Schoggihärzli mit den fünf olympischen Ringen und der Aufschrift „Hopp Schwiiz!“. Das gelte selbstverständlich auch für Liechtenstein, betonte sie mit einem Lächeln. Die berühmten Sportler Jonny Ulrichen und Simon Ambühl mussten mit dem Chef der Fluggesellschaft posieren; wahrscheinlich bestand da ein Sponsoring-Vertrag, vermutete Fabian.
Beim Einsteigen wurden sie ebenfalls mit einem „Hopp Schwiiz!“ von einer Stewardess begrüßt. Da der Flug fast vier Stunden dauern würde, nahm Fabian für alle Fälle die aktuellste Ausgabe der Boulevardzeitung
Blitz
mit an seinen Platz, Während die Funktionäre in der Businessklasse Platz nehmen durften, zwängten sich Justin und Fabian an den Reihen junger Frauen und Männer vorbei nach hinten. Saubauer und Monti sahen sie für einen kurzen Moment im benachbarten Gang ihre Sitze suchen: Die Trainer hatten auch nur Economy-Tickets.
Er und Fabian hatten die Plätze 44J und K, die so weit hinten zu finden waren, dass sich dort die Kabine zum Heck hin bereits wieder verjüngte. Die Zeitung steckte Fabian ins Netz an der Lehne des Vordersitzes. Das Eiskunstläufer-Paar und seine Trainerin belegten die drei Mittelsitze ihrer Reihe. Zwei Jungs in Schlabberjeans und mit ebenso langen Haaren wie Fabian saßen noch weiter hinten. Es stellte sich heraus, dass die beiden Snowboarder waren – der eine sogar amtierender Weltmeister, der andere hatte in der Halfpipe bereits einmal olympisches Silber gewonnen. Das relativierte das Hahnenkamm-Wochenende ungemein: Fabian und Justin hatten beide wohl mehr Glück als Verstand gehabt, überhaupt in diesem Flugzeug sitzen zu dürfen.
„Liebe Sportlerinnen, liebe Sportler und Betreuer, hier spricht Hans Graber, IOC-Mitglied. Ich begrüße Sie zum Sonderflug nach Sotschi. Ihr Platz in diesem Flugzeug ist ein Leistungsausweis. Sie sind die Elite der Schweiz und treffen nun auf die Besten der Welt und zwar bei nichts Geringerem als den Olympischen Winterspielen. Ich begrüße an Bord auch unseren Verteidigungs- und Sportminister Stutz. Herr
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