Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
House of Switzerland versammelt. Es handelte sich bei diesem „House“ um einen modularen Holzbau mit Pressestelle, Fernsehstudios, Restaurants, Ausstellungsflächen und vielen Begegnungsmöglichkeiten. Die Schweiz hatte es für produktiver gehalten, etwas Transportables und Nachhaltigeres als Hauptquartier zu bauen, anstatt die von Russland für zwei Millionen Euro zur Miete angebotenen Gebäude zu nutzen.
So gut wie alle etwa zweihundert in Russland anwesenden aktiven Sportler plus ein paar Funktionäre standen bereit und wurden von russischen Helfern aufgefordert, hinüber zum Stadion zu gehen. Aus dem an eine geöffnete, aufrecht stehende Muschel erinnernden Bau hörte Fabian nur Bässe. Die hohen Töne der Show im Inneren schienen nicht bis auf den Vorplatz zu dringen. Er schickte eine SMS an Florian. Der Text lautete schlicht: „Wo bist du?“
„Vor dem Eingangstor, es zieht!“ Florian hatte der Nachricht ein Foto angehängt, das die Deutschen zeigte, die sich bereits hinter der Hostess mit dem Schild „Germany“ versammelt hatten. Ihre Fahnenträgerin wurde gerade ausgerüstet. Die Schweizer hingegen waren noch nicht mehr als eine ungeordnete Blase von zweihundert Leuten, die über den riesigen Olympiapark am Schwarzen Meer gingen. Die Stadien der Hallensportarten waren alle hell erleuchtet und wirkten mit ihren runden und gewellten Designerformen auf Fabian wie eine Science-Fiction-Stadt.
„Falls du uns suchst, wir sind die Delegation vor den Homophoben aus Ghana“, simste Florian, während die Schweizer nun zur Eingangskontrolle am mit Bauzäunen umgrenzten Bereitschaftsraum für die Delegationen warten mussten. Florian spielte wohl auf den Befehl eines Ministers an, alle Homosexuellen in dem westafrikanischen Land zu verhaften.
Nahe der Eingangsschleuse bereits im Bereitschaftsraum warf der Frontmann der Südafrika-Delegation aus Übermut seine Fahne in die Luft und verfehlte sie beim Auffangen, was bei den dahinter anstehenden Spaniern viel Gelächter auslöste.
„Justin, bist du verlorengegangen?“, schickte Fabian eine weitere Nachricht ab.
„Ich nicht, doch eine unserer Ski-Alpin-Damen scheint verschwunden zu sein. Sehe dich jetzt außen am Zaun stehen“, meldete sich der Liechtensteiner. Fabian war sich nicht sicher, ob Florian geblufft hatte, er jedenfalls konnte im langgezogenen Wartebereich die Liechtensteiner nicht erkennen. Sie mussten hinter den ebenfalls kleinen Delegationen von Libanon und Litauen stehen, die alle schon ziemlich nahe, wenn nicht sogar schon im Tunnel in das Stadion stehen mussten. Er wollte das genauer wissen und begann zu tippen.
„He Rothaariger! Später simsen! Du bist dran!“, schubste ihn eine Dame von hinten, damit er an einem Posten mit den Ausweisscannern durchging. Also steckte er sein Handy eben weg. Der Sicherheitsmann bei der Ausweiskontrolle gab auf Englisch zu, die Größe der Schweizer Delegation unterschätzt zu haben, sie sei ja fast so groß wie die deutsche.
„Die hinter uns sind aber definitiv mehr Leute“, meinte die Langläuferin und deutete über die Schulter. In der Tat näherte sich eine Riesen-Herde US-Amerikaner. Von der anderen Seite wollten bereits drei Taiwanesen sowie die türkische und ukrainische Delegation in den Bereitschaftsraum. Sie wurden aber aufgehalten, bis alle Schweizer die Kontrolle passiert hatten. Ein Helfer suchte aufgeregt nach ein paar Usbeken.
Im Wartebereich sorgten Helfer für etwas Abstand zu den vielen Schweden vor den Eidgenossen. Mayerhofer und Graber sowie die Chefin der Langläufer durften als einzige Schweizer Funktionäre mitgehen. Das IOC habe eigentlich darum gebeten, dass ausschließlich Sportler am Einmarsch teilnehmen sollten, doch ein Rüffel aus Lausanne sei ihm die Sache wert, erklärte Mayerhofer, während nun Jonny Ulrichen als Fahnenträger ausgerüstet wurde. Ihm wurde diese Ehre zuteil, die Athleten anzuführen, da dies schon seine dritte Olympiateilnahme war und er bis jetzt jedes Mal eine Medaille für die Schweiz gewonnen hatte.
Es herrschte eine ähnlich optimistische Stimmung wie am Flughafen bei der Abreise. Nicht wenige hatten jahrelang auf die Olympiaqualifikation hingearbeitet, ihre Trainingspläne so abgestimmt, dass der Höhepunkt ihrer Form gerade mit den Spielen in Russland zusammenfiel, wie eine Langläuferin Fabian erzählte. Der Glarner musste ihr gestehen, dass ihm seine Olympiateilnahme im letzten Moment zugefallen war, dank ersten Podestplatzierungen
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