Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
oder?“
„Na, so wild ist das auch wieder nicht“, beruhigte Garchinger. „Das IOC hat eine Zusicherung der russischen Regierung, dass das Gesetz während der Spiele in Sotschi nicht angewendet werden soll.“
„Der neue IOC-Präsident Thomas Bach hat aber letzten Herbst betont, er wolle sich in die russische Gesetzgebung nicht einmischen“, erinnerte sich Justin.
Garchinger musterte einen Moment den Liechtensteiner, dann stand er auf und meinte: „Na gut, ihr drei, i bin ja kein Herz-Schmerz-Reporter. Lassen wir es für den Moment dabei.“
Nach dem nicht gerade optimistischen Statement von Florian war Justin der Appetit vergangen. Ihm war noch einmal klar geworden, dass Fabian und Florian in ihrem öffentlichen Outing nicht den großen Befreiungsschlag sahen. Er entschloss sich deshalb, tiefgründige Gespräche über die Probleme als offen schwuler Sportler auf die Zeit nach den olympischen Spielen zu verschieben. Wie es bei ihm selbst ohne Alibifreundin weitergehen sollte, wusste er auch noch nicht. Doch auch darüber wollte er jetzt nicht nachgrübeln. Die Konzentration auf den Sport und das Ausblenden von allen anderen Problemen gehörte zur optimalen Vorbereitung auf einen Titelwettkampf.
Anderntags, am Freitag, fand bereits das zweite von drei Abfahrtstrainings statt. Fabian setzte dabei unter leicht bewölktem Himmel ein kleines Ausrufezeichen mit einem neunten Rang. Richard und Justin, aber auch Florian hatten noch ihre Mühe mit dem Lake Jump: Die psychologische Hemmschwelle, den Sprung und die anschließende Kurve so frech zu fahren, wie Saubauer es verlangte, war noch zu groß. Der russische Lokalmatador lag vorn, Jonny Ulrichen auf Platz zwei und Pesenbauer auf Platz drei. Damit war für die Sportreporter klar, wen sie als die heißesten Medaillenanwärter für die Abfahrt in ihren Vorabberichten ansahen. Die russische Presse sagte bereits einen großen Triumpf voraus und die Kraftanstrengung ein olympiareifes Skigebiet aus dem Boden zu stampfen, würde sich am Sonntag in Gold aufwiegen.
Justin mochte diesen Personenkult um den Russen nicht. Zudem klang in seinen Ohren die spitze Bemerkung unangenehm nach, die Koslow im Zielraum mit Blick auf das Trainings-Klassement zu Fabian gemacht hatte. Die Hundertstel Vorsprung in Kitzbühel, die der Glarner damals herausgefahren hatte, sei doch nur so eine Art einmaliger Lottogewinn gewesen, von dem er sich ja die Geschlechtsumwandlung bezahlen könne. In vier Jahren in Südkorea bei den Frauen sei es für ihn ja dann leichter. Hier solle sich angesichts der marginalen Chancen auf eine Medaille am olympischen Motto trösten, nicht gewinnen, dabei sein sei wichtig. Daraufhin hatten Koslow und sein Kumpel Funtow schäbig gekichert, während Fabian wortlos und mit versteinerter Miene aus dem Zielraum fortgestampft war.
Für einem Trainingssieg habe auch noch keiner eine Medaille gekriegt, versuchte Jonny den Glarner über Koslows Bemerkung hinwegzutrösten. Als sie in den Mannschaftsbus einstiegen, erinnerte Justin seinen Ski-Kumpel daran, dass er auch in Kitzbühel auf der Streif nicht zu den Trainingsbesten gehört und es dem aufgeblasenen Ski-Star im echten Rennen trotzdem gezeigt habe. Sie wollten gerade vom Alpine Center zurück zum olympischen Dorf fahren. Obwohl Koslow das Training nicht gewonnen hatte, war der Fahrer bestens gelaunt und summte ein Lied – er erklärte, das sei die russische Nationalhymne. Fabian fragte verwundert, wie die Hymne zu dessen vehementer Klarstellung neulich, Abchase zu sein, passe? Der meinte, das sei eben den Ausländern nicht zu erklären. Die Hymne würden alle hier bestimmt noch ein paarmal hören in den nächsten zwei Wochen. Gold für David Koslow und Silber für Jonny wäre eine große Sache, erklärte er, und das sei ihm auch eine verlorene Wette wert. So würde er ein Opfer bringen, was den Himmel bestimmt gnädig stimmen würde.
Auf einer mit vereistem festgepresstem Schnee eingerichteten Verlängerung des Parkplatzes unterhalb des Männerdorfes arbeitete Klaus mit dem Lastwagenchauffeur im Servicewagen der Teams. Fabian und Stas wollten helfen gehen, Kabel für die Standheizung einrichten und dergleichen. Justin schloss sich ihnen an, aber Richard musste auf dem Parkplatz in einen Hubschrauber einsteigen, den die britische Botschaft organisiert hatte. Es gäbe in der heimatlichen Presse und im Internet Unmut darüber, dass er sich zu wenig bei seinen Landsleuten blicken lasse, und deshalb sei kurzfristig
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