Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
ein Besuch bei der britischen Curling-Mannschaft und anderen Athleten im Coastal Cluster aufs Programm gesetzt worden. Diese Besuche würden bis zur Eröffnungsfeier am Abend dauern, bei der ja der Prinz mit den anderen Briten einlaufen würde.
„Entweder macht er als Olympionike mit oder als Sportbotschafter der britischen Regierung, beides geht nicht“, wollte Saubauer intervenieren – sogar auf Englisch.
„Wir sind uns dessen bewusst, aber es handelt sich um eine Anweisung von ganz oben, Mr Saubauer“, schmetterte der Botschaftsmitarbeiter den Einspruch ab. „Der Hubschrauber ist bereits als Kompromiss zwischen prinzlichen und olympischen Pflichten seiner Hoheit aufzufassen. Wir danken für Ihr Verständnis“, erklärte er und schon entschwand Richard im Hubschrauber.
„Er hätte eigentlich noch bei der Heidi vorbeischauen müssen“, brummte der Trainer, „in ihrer Eigenschaft als Physiotherapeutin selbstverständlich“, fügte er hinzu. „Mir scheint, der britische Bursch’ traut sich, den linken Fuß weniger zu belasten als den rechten.“
Justin war das nicht aufgefallen.
„Saubi, was willst du gegen die Politik machen?“, gab Monti mit einem Schulterzucken dazu.
Stas hatte für die Arbeit am Lastwagen seine offizielle Helfer-Skijacke abgelegt. Mit der runden John-Lennon-Brille und dem 1980er-Jeanslook und seinen etwas langen teilweise blondierten Haaren hätte er wohl problemlos an das nächste Rock-Open-Air gehen können, dachte Justin.
Stas und Justin blickten zu Fabian und Florian hinüber, die gerade Verlängerungskabel vom Teamlastwagen hoch zur Kantine auslegten.
„Bei einer Sache bin ich unsicher. Wen im Team darf ich mit Vornamen ansprechen? Ist das in der Schweiz üblich?“, fragte Stas
„Das hängt von vielem ab. Du könntest als Student durchgehen, was arbeitest du normalerweise?“, versuchte Justin Zeit zu gewinnen, denn gerade als der Jüngste im Team war er sich bei dieser Frage ebenso unsicher. Fabian duzte selbst Garchinger, aber das hielt er für unangebracht. Durfte er Fabians Onkel mit Klaus ansprechen oder sollte er doch lieber dem mehr als doppelt so alten, verheirateten Familienvater mit Herr Linthaler grüßen? Offiziell hatte ihn nie jemand instruiert.
„Ich habe ja in Moskau studiert, arbeite jetzt mal als Guide und nach den Paralympics sehe ich dann weiter.“
„Alle im Studentenalter in unserem Team kannst du mit Vornamen ansprechen, mit Ausnahme von Richard“, versuchte Justin trotz der eigenen Unsicherheit ihm eine einfache Antwort zu geben. „Du darfst ihn ‚Prinz Richard‘ nennen, ‚Mr Wales‘ geht aber auch, falls du Adelstitel aus kommunistischen Gründen ablehnst.“
„Der Kommunismus ist schon lange vorbei. Ich richte mich nach dem Gast und werde seine Hoheit korrekt ansprechen. Wie darf ich mich bezüglich gewisser Gerüchte um Fabian Luchsiger verhalten?“
Justin zuckte zusammen und dachte an die Umfrage, von der er neulich gelesen hatte und die sechsundachtzig Prozent Zustimmung der Russen für das Propagandagesetz gegen Schwule. Er überlegte einen Moment, ob er eine Diskussion darüber mit „darüber weiß ich nichts“ vermeiden sollte. Aber so feige wollte er auch wieder nicht sein. Er hatte sowieso ein schlechtes Gewissen, nach wie vor sein Coming-out im Sport vor sich herzuschieben. So beschloss er, dem jungen und deshalb womöglich im Denken noch flexiblen Fremdenführer zu erklären, worum es ging.
„Viele wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass Homosexualität keine westlich-dekadente Lebensweise ist, sondern eine Veranlagung außerhalb des freien Willens. Fabian ist Teil des Teams, ohne irgendwelche Vorbehalte. Du musst keine Angst haben – Fabian wird bestimmt nicht versuchen, dich anzumachen.“
„Es wird keine Probleme geben. Vielen Dank, Justin“, meinte Stas und reichte nun eine Werkzeugkiste hoch. Justin hoffte, der Russe hätte das nicht nur aus Höflichkeit gesagt, sondern würde seine vermutlich homophobe Meinung über Schwule zumindest überdenken. Er machte sich wieder Sorgen, ob im Team Fabians Beziehung zu Florian tatsächlich respektiert würde. Bei Patrik und Conradin war er sich gar nicht sicher und Koslow war ja zweifellos homophob.
Der Arbeitstag war noch nicht zu Ende: Ein Lockerungstraining stand an, Videoanalysen und individuelles Einprägen der Rennstrecken, dann Abendessen und die Eröffnungsfeier.
Die Schweizer Delegation hatte sich für die Eröffnungsfeier im Innenhof des
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