Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
unbekannten Bergburschen Helden wie Franz Klammer und Bernhard Russi, die ihre Medaillen gewonnen hatten, lange bevor Fabian geboren wurde. Trotzdem waren ihre Namen in seinem Gedächtnis eingebrannt, seit er überhaupt auf Skiern stehen konnte. Vielleicht sollte er diese wohl übertriebene Ehrfurcht zur Seite schieben. Im Grunde war es auch nur ein Rennen mit denselben Konkurrenten wie vor zwei Wochen in Kitzbühel.
Als nun Richard als nächstes das Badezimmer besetzte, schaltete Fabian den Fernseher ein, um seine Nervosität abzubauen, und zappte durch die Kanäle, bis er auf einem russischen Sender beim Gottesdienst in einer orthodoxen Kirche ein bekanntes Gesicht sah und ein paar Ski, die am Altar lehnten.
„Justin, schau mal, was in der Homophobiker-Hütte abgeht!“ Er deutete auf den Bildschirm.
„Koslow und Putin“, identifizierte sein Ski-Kumpel die bekanntesten Gottesdienst-Teilnehmer.
In einer Kirche wohl in der Nähe fand kein üblicher Sonntagsgottesdienst statt, sondern eine Messe, um den Sieg für David Koslow bei der bevorstehenden olympischen Abfahrt von allerhöchster Stelle zu erbitten. Fabian beruhigte die Übertragung. Nach dem müde wirkenden Gesicht des Sportlers zu urteilen, hatte auch Koslow bestimmt schon einmal besser geschlafen als in der zurückliegenden Nacht.
Jedenfalls hatte zumindest Petrus ein Einsehen gehabt: Das Hochdruckgebiet war geblieben; das Rennen würde unter postkartenblauem Himmel stattfinden. Fabian hörte mit starrem, finsterem Blick einige Minuten den schwermütigen Klängen des orthodoxen Chorals zu, während der Priester Weihwasser an die Skier spritzte. Solche bärtigen Priester steckten hinter der in Russland wie die Pest grassierenden Homophobie.
Fabian grollte auf Deutsch: „Heben wir also den Fehdehandschuh auf?“ Dann schaltete er den Fernseher ab. Der eben aus dem Badezimmer zurückgekehrte Richard verstand wohl nicht, dass damit die russisch-orthodoxe Kirche gemeint war, denn sie hatte in Russland bereits das Homopropaganda-Verbot durchgedrückt und wollte als nächsten Schritt LGBTIQ-Eltern ihre Kinder wegnehmen – auch die leiblichen.
Es wurde Zeit fürs Frühstück. Manche würden auf den Zimmern still für sich etwas essen, doch Justin meinte, es sei jetzt besser, unter Menschen zu sein, als sich vor Nervosität verrückt zu machen.
„He, Ski-Punk! Möge der Bessere gewinnen“, meinte Jörg fröhlich und stieß dem Glarner gegen die Schulter. Das entspannte Fabian wieder, denn inzwischen musste ja wohl auch das österreichische Team von seiner sexuellen Orientierung erfahren haben. Wenn Pesenbauer kein Problem damit hatte, dann wäre es für Fabian okay, wenn heute Abfahrtsgold nach Österreich gehen würde.
„Guten Morgen, meine Freunde!“, wünschte Edcham und setzte sich mit einem Wettbuch an den Tisch.
„Na schön, i setz einen Zehner auf den Ski-Punk“, buchte Jörg mit ironischem Unterton, wie Fabian glaubte, herausgehört zu haben, und Simon Pöschl sogar einen Hunderter und die Österreicher lachten dazu frech. Sie nahmen ihn gerade auf den Arm, da war sich Fabian sicher. Trotzdem konterte er mit zehn Euro auf den österreichischen Favoriten Pesenbauer.
„Nicht mehr? Haben Leute, die stürzen mit Ski schneebedeckte Felswand runter, Angst vor Wette?“, fragte Edcham enttäuscht.
„Zehn auf mich!“, setzte Anton Pöschl. „Weißt du, Abchase, ein Zehner ist noch eine Gaudi, ein Hunderter hätte bereits ein Geschmäckle, wie der Florian sagen würde, und ein Tausender wäre ein ausgewachsener Skandal.“
„Ich hätt es nicht besser ausdrücken können“, meinte Mayerhofer, der gerade am Tisch vorbeiging und sich nun zum improvisierten Wettbüro umdrehte. „Wenn Sie von einem Athleten oder Helfer ab jetzt mehr als einen Zehner pro Tag annehmen, fliegen Sie raus und ein anderer fährt den Bus. Und hier im Dorf gibt es sowieso keine Wetten, klar?“, befahl Mayerhofer und deutete mit dem Daumen über seine Schulter zum Ausgang.
„Sicher, Chef“, meinte Edcham kleinlaut und zottelte weg.
„Luchsi wird seinen Gewinn russischen Waisenkindern spenden“, fügte Pesenbauer zur Sicherheit hinzu, aber Mayerhofer war schon weitergegangen.
„Er ist im Militär Oberst“, erklärte Fabian den Auftritt. „Daher kommt der Befehlston.“
Monti suchte mit seinen Schützlingen Blickkontakt und tippte auf seine Armbanduhr. Sie mussten nun rasch zu Ende frühstücken, was Janette nach ihrem Ernährungsplan für sie vorgesehen
Weitere Kostenlose Bücher