Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
erklärte der Helfer. Er glaubte das dem Mann nur bedingt, denn der als Terrorist gesuchte Emir des Kaukasus hatte wieder Rache für die geschändeten Gebeine der Moslems geschworen, über deren Gräbern diese Olympiade ausgetragen würde, oder so ähnlich. Aus der Sporttasche neben der Eingangskontrolle ragte einen Zentimeter weit eine Gewehrmündung heraus, das war ihm nicht entgangen. Doch nun musste sich der Reporter auf seinen Job konzentrieren, Helga klappte bereits die Senderantenne der Kamera aus.
Auf der mehr oder weniger ebenen Fläche des Rennläuferwartebereichs lauerten andere akkreditierte Journalisten. Er begrüßte die Kollegen kurz. Nun musste er die günstigste Einstellung suchen und rekrutierte kurzerhand eine junge russische Helferin, um den weißen Schirm zu halten, damit sein Gesicht im gleißenden Sonnenlicht nicht zu hart herüberkommen würde. Die beste Position hatte sich leider schon SNI gesichert und so wählte Garchinger einen Schuss mit dem Schweizer Team im Hintergrund, das soeben letzte Dehnübungen machte.
„München empfängt unser Bild!“, meldete Helga.
„Pass auf, falls die Burschen wieder ihr Fechtritual machen – das müssen wir mitnehmen!“, warnte sie Garchinger, während sie die Kamera auf ein Stativ montierte.
„Gestern haben sie es nicht gemacht“, erinnerte sie sich.
„Das war ja nur Training. Verflixt! Das Kabel zu meinem Knopf im Ohr ist gerissen!“, stellte er mit Entsetzen fest.
„Vergiss es, Alois! Aufpassen! Das Olympia-Studio wird dich fragen, ob der Lokalmatador Koslow schon da ist, dann folgt die Frage nach den Pistenverhältnissen. Danach redest du einfach weiter bis zum Abwinken.“
Garchinger blickte hoch in Richtung Gipfelstation und in der Tat konnte er eine Gruppe mit dem bärtigen Russen auf dem Weg zu ihm erkennen.
„Fünf, vier, drei, zwei, eins – bitte!“, zählte Helga.
„Guten Morgen vom Start der russischen Olympia-Piste“, begann Garchinger mit dem Livebericht und wartete, bis ihm Helga mit Handzeichen zu verstehen gab, die Antwort auf die erste Frage sei nun dran. „Noch ist der wohl von Millionen Russen hier und an den Bildschirmen zu Hause mit Spannung erwartete einheimische Rennläufer nicht eingetroffen. Vielleicht hat er sich bis kurz vor dem Start zurückgezogen, um sich auf das wichtigste Rennen seiner Karriere vorzubereiten. Er wird aber jeden Moment erscheinen.“
Garchinger zählte innerlich bis zehn und Helga, die über Handy und Knopf im Ohr mit der Regie verbunden war, gab ihm mit einem Finger das Zeichen für die zweite Antwort: „Über dem Kaukasus liegt trockene Kaltluft. Es herrscht deshalb strahlend schönes Winterwetter. Hier oben auf 2000 Metern Höhe ist bei idealer Fernsicht ein atemberaubendes Panorama zu sehen mit den westlichsten Dreitausendern des Kaukasus. Ich bin hier am südlichsten Start in der Geschichte des olympischen Skisports. Trotz der subtropischen Lage kann der Wettkampf regulär durchgeführt werden. Hier ist es bei minus zehn Grad klirrend kalt und im Ziel werden die Rennläufer aktuell bei minus zwei Grad erwarten. Ein eisiges Rennen mit schweren Kurven und weiten Sprüngen wird in den vor uns liegenden zwei Stunden einen würdigen Olympiasieger hervorbringen. Die kaukasische Piste ist auch für die Serviceleute eine Herausforderung. Gerade hinter mir werden die Skier für den einzigen Liechtensteiner am Start bereit gemacht. Der erst neunzehnjährige aschblonde Mann ist der jüngste Rennläufer im Feld. Wie schätzen Sie die Piste heute ein, Justin Bend?“
„Harte, eisige Kurven oben, im unteren Teil könnte sie mit der Sonneneinstrahlung weich werden – ich hoffe, auf ein olympisches Diplom“, antwortete Bend. Garchinger wollte das blaue Mikrofon gerade Fabian Luchsiger vor die Nase halten, doch die Kamera schwenkte bereits von den beiden Rennläufern weg zu einer eintreffenden Gruppe.
„Eben erreicht der russische Favorit David Koslow die Sicherheitskontrolle.“
Dort salutierte die Wache; der großgewachsene Koslow nahm militärisch den Gruß ab und ging zusammen mit seinem Teamkollegen durch die Absperrung.
„Eine ganze Nation fiebert mit, die dank Koslow sich neuerdings vom Skirennsport faszinieren lässt. Wird der russische Ausnahmefahrer die Sensation schaffen? Wird er die vielen zehntausend, vielleicht sogar weit über hunderttausend Zuschauer hier an der Strecke und in den Public-Viewing-Areas in ekstatischen Jubel versetzen? Ein unglaublicher Druck muss auf dem
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