Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
oder Wegfall des Aufschubgrunds
– nun war die Verzögerung das Problem der Kontrolleure und nicht mehr das der Sportler. Der Aufschubgrund war in ihrem Fall die Blumenzeremonie.
Das berauschende Gefühl des Erfolgs kehrte zurück. „Medaille, Medaille!“, lachten Fabian und Florian. Die beiden begannen sich gegenseitig übermütig auf die Schenkel zu hauen, was dem Russen dann doch ein Lächeln entlockte.
„Ja, man sagt nicht umsonst, Olympische Spiele hätten ihre eigenen Gesetze“, sagte Koslow. „Fabian, bist du eigentlich der jüngste Olympiasieger?“
„Danke, aber ich bin schon zweiundzwanzig.“
„Rekordhalter in allen olympischen Disziplinen ist Toni Nieminen, der war noch nicht mal siebzehn“, wusste Florian.
„Russland hat im ewigen Medaillenspiegel 123 Goldene und ihr?“, fragte David Koslow und blickte herausfordernd zu Fabian.
„Wir liegen mit 44 – ich meine jetzt 45 – auf Platz acht“, gab Fabian korrekt Auskunft.
„Deutschland führt den Spiegel mit 128 Goldenen an!“, bemerkte Florian stolz.
„Aufschneider!“, spottete Fabian und wurde von Florian mit einem Schenkelschlag bestraft. Schon wieder ging es zwischen den beiden übermütig hin und her. Das Feiern mit seinen Freund war Fabian lieber als das Fachsimpeln über die erfolgreichsten Wintersportnationen. Ihn kitzelte aber schon der Gedanke, dass die Schweiz jetzt dank ihm den Abstand zu Schweden verkürzt hatte, das vor den Eidgenossen auf Platz sieben lag.
David Koslow durfte als Erster zum Arzt hinein und musste die kindliche Freude der anderen beiden nicht länger ertragen. Fabian griff nach einer der bereitliegenden Getränkeflaschen und Florian erinnerte ihn daran, erst das Siegel zu prüfen, bevor er davon trank.
„Weißt du, was das Geilste ist?“, fragte Fabian auf Schweizerdeutsch, das Florian gut verstand. „Das Beten in der Homophobikerhütte heute früh hat den Russen nichts genützt. Wenn Gott wirklich Schwule so hassen würde, wie die Popen behaupten, hätten wir dann eben Medaillen abgeräumt? Wenn es ihn tatsächlich gäbe, hätte der Alte im Himmel mit Freuden Matthew Mitcham ersäuft, anstatt …“
„He! Vielleicht versteht nicht nur Koslow Deutsch!“, bremste ihn Florian. „Du bist jetzt Olympiasieger. Was du schwafelst, kann fünf Minuten später durch die Social Media rasen.“
Florian hatte wohl recht. Trotz seines Zorns auf die homophoben Gesetze musste er sich ab jetzt gewählter ausdrücken, sonst würde er der LGBTI-Emanzipation einen Bärendienst erweisen. Sie waren nun definitiv nicht mehr Europacup-Jungs, die zum ersten Mal bei den Großen mitmachen durften. Das Wort „Abfahrts-Olympiasieger“ klang in seinem Kopf nach. In der Sportgeschichte hatte es bisher nur drei Schweizer mit diesem Titel gegeben, allesamt Nationalhelden. Und jetzt sollte der Vierte Fabian Luchsiger heißen? Das erschien ihm noch immer ein verwegener Traum zu sein.
Draußen dicht hinter der Tribüne knatterte ein startender Hubschrauber. Sie vermuteten, das müsse wohl Putin sein. Fabian musste als Nächster zur Kontrolle hinein und vor den Augen des DCO und des Arztes die versiegelten Kartonschachteln mit den Utensilien öffnen. Die ganze Prozedur war streng reglementiert.
Nach der Dopingkontrolle wartete Stas vor dem Rot-Kreuz-Container auf Fabian.
„Ich gratuliere sehr zu den Medaillen, Fabian, Florian“, begrüßte er sie auf Deutsch. Sein Kollege, der die deutsche Alpin-Mannschaft betreute, hatte die deutschen Worte „herzliche Glückwünsche“ auswendig gelernt. Sie hatten den Medaillengewinnern ihre Sporttaschen mitgebracht; da waren Sachen zum Umziehen drin. Fabians Onkel Klaus sah es ja nicht gerne, wenn sie in den Rennskischuhen zu große Strecken zurücklegten, Fabian fand sowieso seine Jeans und Stiefel bequemer. Letztere würden zur Not auch an die Bindung seiner alten Tourenski passen. Die Teamjacke war vorgeschrieben, solange sie in mehr oder weniger offizieller Mission unterwegs waren.
„Hast du den Satz auswendig gelernt oder kannst du Deutsch?“, testete er Stas, während des Umziehens.
„Ein Kurs ich habe genommen, als ich Job für Schweizer Mannschaft erhalten habe. Englisch geht besser.“
„Seit wann bist du hier bei der Tür?“, fragte Fabian nun leise.
„Ihr habt gesprochen eure unverständliche Schweizer Sprache. Ich habe aber die Worte ‚Homophobie‘ und ‚schwul‘ herausgehört“, blieb Stas trotz Schwierigkeiten bei Deutsch. Sein Kollege, der auf Florian
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