Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
wartete, befand sich in Hörweite. „Es stimmt, was steht, auf Wikipedia in Deutsch über dich?“
Fabian hatte bisher noch nicht bemerkt, dass er überhaupt eine Wikipedia-Seite hatte. Während sie nun mit den Taschen an der Schulter in dem Gewirr von Stützstangen unter dem Stadion langsam auf einem Bretterweg dahinschlenderten, wo man allerlei Kisten und Sicherheitszaun-Reste untergebracht hatte, schaute der frisch gebackene Olympiasieger sich im Gehen die Webseite auf seinem Smartphone an. Neben allgemeinen Informationen wie sein Geburtsort Elm, der Körpergröße von 189 cm und dem Alter, konnte man dort auch lesen, er hätte in der Berufsschule und beim Lehrmeister Probleme gehabt, wegen der vielen Abwesenheitstage als Spitzensportler. Wegen dieser Absenzen habe er die Berufsmathura als Polymechaniker nur knapp bestanden. Wikipedia berief sich auf ein Interview mit der Regionalzeitung
Die Südostschweiz Glarus
aus der letzten Saison. Doch aktuell und brisant waren die letzten beiden Abschnitte des Wikipedia-Artikels:
Luchsiger wurde im Vorfeld der Winterspiele zusammen mit dem Deutschen Florian
Häusle
von der Boulevardzeitung Blitz zwangsgeoutet. Die Homosexuellenorganisationen sind sich uneins darüber, ob die beiden in die kurze Liste der offen homosexuellen Olympioniken aufgenommen oder sogar als schwules Paar bezeichnet werden dürfen.
Luchsigers bisher größte Erfolge sind der Sieg bei der Hahnenkammabfahrt und eine Goldmedaille in derselben Disziplin bei den Olympischen Spielen von 2014 in Russland.
Letztes Update vor 20 Min.
Darunter folgte eine lange Liste von Quellenangaben. Florian warf auch einen kurzen Blick auf den Wikipedia-Text und zuckte nur mit den Schultern. Die englische Seite über ihn war eine genaue Übersetzung des deutschen Textes und vor sieben Minuten erstellt worden. Stas beobachtete ihn beim Lesen genau, traute sich aber offenbar nicht, weiter nachzufragen.
„Wir beide sind schwul“, bestätigte ihm Florian. „Das mit dem Paar kann Wikipedia eigentlich noch nicht wissen. Aber es stimmt schon: Ich mag Luchsi. Gehen wir zu unseren Bussen, bevor wir noch als vermisst ausgeschrieben werden.“
Stas nickte nachdenklich. Er brauchte wohl einen Moment, um das zu verarbeiten. Innerlich freute sich Fabian über die Worte „ich mag Luchsi“ und berührte als zustimmende Antwort Florians Schulter länger, als es für einen kumpelhaften Klaps notwendig gewesen wäre.
Beim Ausgang hinter der Tribüne lauerten Garchinger mit seiner Kamerafrau am Geländer und nahmen die Sportler sofort ins Visier, nachdem sie die drei offenbar bemerkt hatten.
„München, ich hätte jetzt die Ski-Jungs vor der Linse“, redete der Fernsehjournalist in sein Handy.
„Okay, danke. Helga, kannst absetzen“, befahl Garchinger. „Die Liveübertragung vom Eisschnelllauf Dreitausendmeter aus der Adler-Arena hat eben begonnen. Man klinkt sich dann am Abend in euer großes Interview von SNI ein, bis dahin sei Alpin kein Thema mehr, es war ja nur eine Bronzemedaille für Deutschland rausgekommen, teilte mir die Regie in München eben mit.“
„Nur? Für Florian ist das eine krasse Leistung“, protestierte Fabian.
„Das Nachrichtengeschäft ist eben hart, auch im Sport. Aber wir vergessen euch schon wegen Richard und der … äh … anderen Sache nicht, keine Sorge“, versprach Garchinger und erinnerte Fabian daran, dass die eben gewonnene Medaille auch eine unangenehme Kehrseite haben könnte. Sie waren jetzt berühmte Schwule in einem vorwiegend homophoben Land.
Stas drängte nun höflich und zeigte zum Kehrplatz der Busse, man erwarte sie dort. Garchinger bezog die Aufforderung auf sich und begleitete die Gruppe am ARD-Regiewagen vorbei, an dem gerade ein Techniker die Landschaft als WC benutzte.
„Wir machen dann später beim olympischen Dorf was, wenn es recht ist. Mach nicht so ein nachdenkliches Gesicht, Fabian, bist nun Olympiasieger!“, meinte Garchinger und deutete seiner Kamerafrau an, die Begegnung des Medaillenduos mit einer Fangruppe mitzuschneiden.
Der Smalltalk mit der Gruppe drehte sich nur um das Rennen. Florian kümmerte sich inzwischen um eine Fangruppe, die eine Fahne „Schönau im Schwarzwald grüßt Jungtalent Florian“ schwenkte. Als sie endlich beim Bus ankamen, stand Saubauer bei der Vordertür und schwatze mit seinem deutschen Trainerkollegen, während an der Rückseite des Busses mit den Bergen im Hintergrund Jonny dem Schweizer Fernsehen Auskunft
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