Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
bekam. Fabian glaubte in diesem Moment, die Einheimischen hätten sich damit abgefunden, dass olympisches Silber eben auch eine Menge wert war für eine Nation, die bis vor wenigen Jahren noch ein weißer Fleck auf der Landkarte des alpinen Spitzensports gewesen war.
„Meine Damen und Herren, der Goldmedaillengewinner und Olympiasieger in der alpinen Abfahrt der Herren: der die Schweiz repräsentierende Fabian Luchsiger!“
Jetzt durfte er auf die höchste Plattform der Siegertreppe in der Königsdisziplin des alpinen Skisports steigen. Der Applaus von den Rängen fiel höflich kühl aus, abgesehen von den Schweizer Fans, die versuchten, das lautstark zu kompensieren. Sehr wahrscheinlich haderten doch noch einige Russen mit den neun Hundertsteln, die Fabian Gold bescherte hatten. Der Koreaner stand etwas hilflos mit der Medaille in der Hand vor dem langen Glarner.
„Musst dich runterbeugen, Luchsi!“, zischte ihm Florian zu. Der Funktionär überspielte Fabians kurzes Zögern mit einem Lächeln und meinte: „Ich hoffe, ich darf Sie in vier Jahren bei mir zu Hause begrüßen“.
„Es wäre mir eine Ehre“, antwortete Fabian.
„Gratulation. Sie können stolz auf sich sein. Sie gehören jetzt zu den allerberühmtesten Aktiven dieser Spiele und sind nun ein Vorbild für die Jugend“, mahnte ihn der IOC-Funktionär mit dem Turban. Fabian glaubte, einen mahnenden Unterton zu hören. Spielte der indische Funktionär auf das Coming-out an?
Die beiden Funktionäre und die Hostessen traten zur Seite. Alle drei auf der Siegertreppe winkten nochmals.
„Wir bitten Sie, sich zu erheben für die Nationalhymne der Schweiz.“
Als langsam und schwermütig
Trittst im Morgenrot daher, seh’ ich dich im Strahlenmeer, Dich, du Hocherhabener, Herrlicher! …
in der Medals Plaza erklang, da bekam Fabian feuchte Augen. Alle hatten sich erhoben, auch die Russen, obwohl nicht ihre Hymne gespielt wurde. Er hatte die Goldmedaille für die Schweiz gewonnen, die Welt – selbst Koslows Russland – sah im Moment auf ihn und das weiße Kreuz in rotem Grund. Sie musste die Leistung des kleinen Alpenlandes anerkennen. Das ließ ihn nicht kalt und mehr noch, er durfte diesen unbezahlbaren Moment mit Florian teilen.
Nach dem Applaus mussten sich die drei auf das Stichwort „Meine Damen und Herren, die olympischen Medaillenträger“ zum offiziellen Siegerfoto auf die Goldplattform drängeln, da war kaum Platz und sie mussten sich gegenseitig halten, Fabian und Florian gleich dicht nebeneinander. Nochmals winken und dieser unbezahlbare Moment war vorüber. Nun kamen die Langläufer an die Reihe. Wieder zurück auf ihren Plätzen stieß Fabian neben Florian ein andächtiges „Wow!“ aus und starrte seine Goldmedaille an. Sie hing tatsächlich um seinen Hals und er konnte sie wirklich anfassen. Alpine Skiing Men Downhill
stand da eingraviert auf der einen Seite drauf und auf der anderen schlicht die olympischen Ringe. Die Medaille war nicht durchgehend massiv, sondern hatte einen Einsatz aus durchscheinendem Glas-Polykarbonat, mit eingravierten traditionellen Mustern verschiedener Regionen Russlands und sollte die eisigen Hänge des Kaukasus repräsentieren. Er konnte den Blick nicht mehr von der Medaille lösen und musste sie immer wieder in seiner Hand wiegen.
„Das ist kein Spielzeug, sondern ein Geschenk Russlands“, regte sich Koslow darüber auf. „Achtzehn Stunden mussten unsere Goldschmiede an deiner Medaille arbeiten und haben dabei ein Stück der russischen Seele hineingelegt.“
„Bei mir hat er aber nur siebzehn Stunden gearbeitet“, meldete sich Florian. „Auf meiner steht nirgends was von der Sportart drauf!“
Ungläubig lehnte sich Koslow vorne an Fabian vorbei, um selbst die beanstandete Bronzemedaille zu prüfen. „Man wird die Gravur bestimmt nachhohlen“, zischte er und erntete dafür von den Snowboard-Damen einen bösen Blick, der wohl bedeutete, die Jungs sollten sich nun während der letzten Zeremonie benehmen.
„Ich muss euch beide jetzt zum Studio von World-Sports führen – auch Sie bitte, Herr Koslow“, mahnte Stas nach der Medaillenfeier zum Aufbruch. Das Alpin-Trio folgte ihm auf den Olympiapark hinaus, wo sich gerade die Zuschauer der Zeremonien zerstreuten. Dort erwartete Koslow seine Frau, mit der er Küsschen tauschte und die nun Händchenhaltend in Richtung Medienzentrum folgte. Fabian und Florian hätten die Ausweisung aus Russland riskiert, wenn sie es den beiden gleichgetan
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