Der Silberbaron
schicken?”
“Richard, das ist nicht zum Lachen!”, rief seine Mutter erbost. Dann jedoch wechselte sie abrupt die Taktik, schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und schmeichelte: “Bitte, mein Guter, lass uns nicht länger warten. Das Essen wird schon seit acht Uhr warm gehalten. Jetzt ist es halb zehn, und wir alle sind fast am Verhungern.” Ein silberhelles Lachen folgte. “Ich bin schon ganz erschöpft, weil ich ständig Ausschau halte nach neuem Gesprächsstoff. Allerdings …”, hier knirschte sie mit den perlweißen Zähnen, “… kann man über dem Knurren unserer Mägen nicht viel hören.”
Ihr Sohn lächelte ihr besänftigend zu. “In ein paar Minuten bin ich fertig. Ich mache mich nur ein wenig frisch.”
“Ach, du bist präsentabel genug”, gab sie gereizt zurück und winkte ihn die Treppe hinunter. Das ist er tatsächlich, fand sie, als sie die große, attraktive Gestalt musterte. Sein sonnengebleichtes blondes Haar war zu lang, doch es stand ihm gut zu Gesicht, wie sie widerwillig zugeben musste. Seine dunkelgraue Kleidung war teuer und gut geschnitten – nichts, was sie sagte oder tat, brachte ihn dazu, einmal hellere Farben zu wählen. Seine im Ausland erworbene Sonnenbräune hatte sie zuerst entsetzt, doch wirkte er damit umwerfend fremdländisch, und dann diese kühlen grauen Augen … Ein Schauer überlief sie, da er sie so an ihren liebsten John erinnerte.
Miriam blickte wieder hinauf zur Treppe, doch während sie an ihren verstorbenen Gatten gedacht hatte, war ihr Sohn verschwunden. Sie zog eine Grimasse, drehte sich um und stolzierte zurück in den Salon, wo sie dem Duke und der Duchess of Winstanley und deren Tochter Lady Penelope die freudige Botschaft überbrachte, dass das Essen nun in der Tat sehr bald serviert werden würde.
“Ich weiß genau, wo du dich herumgetrieben hast, du alter Lüstling.”
Richard trocknete sich das Gesicht, warf dann das Handtuch in hohem Bogen auf das prächtige Himmelbett und sah Stephen an. “Wo denn?”, fragte er, während er vor den Spiegel trat, um seine Erscheinung zu mustern.
“Ach, komm schon, du hast es doch bloß mit deinem amourös aufgelegten Bruderherz zu tun. Bestimmt hat sie eine
jolie amie
für mich. Blond wäre sie mir am liebsten, aber ich bin nicht wählerisch.”
“Du bist verheiratet.”
“Ich langweile mich.”
Richards kalte graue Augen suchten das Spiegelbild seines verschmitzt lächelnden jüngeren Bruders. “Du bist verheiratet. Du hast eine wunderbare Gattin und zwei schöne Kinder. Was um alles in der Welt willst du noch mehr?”
Stephen Du Quesne trat schulterzuckend ans Fenster und blickte hinaus in die Dunkelheit. Die silbern schimmernden Mehlbeerbäume, die die lange Auffahrt zum Herrenhaus säumten, wiegten sich geisterhaft in der leichten Abendbrise. “Ein aufregenderes Leben … das will ich. Ein bisschen von dem, was du hast. Du bekommst die pikanten Frauen ab, und ich nichts als Verantwortung. Das ist einfach nicht gerecht. Du bist sieben Jahre älter als ich.”
“Niemand hat dich gezwungen, Amelia einen Heiratsantrag zu machen, als du einundzwanzig warst. Wenn ich mich recht erinnere, wolltest du sie unbedingt haben und hast dich durch nichts aufhalten lassen, nicht mal durch die vielen Körbe, die sie dir gab. Schließlich hast du sie erobert, und den Beweis, dass dir dieser Sieg zum Segen gereicht, findest du wenige Schritte den Gang hinab im Kinderzimmer. Werde erwachsen.”
“Und das sagst ausgerechnet du!”, stöhnte Stephen, als er seinem Bruder zur Treppe folgte. “Du bist dreiunddreißig und jagst immer noch deinem Vergnügen nach, als wären die letzten zehn Jahre spurlos an dir vorübergegangen. Selbst dein bester Freund, dieser alte Sünder, ist seit über drei Jahren verheiratet und inzwischen so gefährlich geworden wie ein Kätzchen, wenn man den Leuten Glauben schenkt.”
Richard drehte sich lächelnd zu ihm um. “So ist das eben mit der Liebe, Stephen. Sie pirscht sich an einen heran, wenn man am wenigsten damit rechnet … auch wenn man erst einundzwanzig ist und noch überhaupt nicht bereit. Es ist keine Schande, sich ihr zu ergeben.”
“Ganz der wortgewandte Fachmann für zarte Gefühle, was?”, neckte Stephen ihn grinsend. “Kaum zu glauben, dass der Verkehr, den du mit dem schönen Geschlecht hast, meist so grundlegend ist, dass du ihn im Liegen ausführen kannst.”
“Halt bitte den Mund, Stephen, du redest irr”, sagte Richard und klopfte seinem
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