Der Silberbaron
Haar und Augen wie Honig, und die Haut war zart wie ein Pfirsich. Schwer zu sagen, ob sie eine Schönheit war oder doch eher unscheinbar. Unscheinbar, entschied sie, denn die hübsche ausländische Dame würde bestimmt keine Rivalin dulden.
“Weißt du, was du tust, Emma?”, fragte Matthew kurz.
“Nein”, gab Emma nervös zu, während sie ihre Schute zurechtrückte und die Handschuhe überstreifte.
Matthew war am Morgen zu Besuch gekommen und hatte zu seiner Missbilligung erfahren, dass Emma sich bei einer Dame vorstellen sollte. Aber er hatte ihr angeboten, sie an die South Parade am anderen Ende von Bath zu bringen.
Als sie nun in der eleganten Straße aus dem Einspänner stieg, erklärte Emma: “Ich muss ein bisschen Geld verdienen, während ich über meinen weiteren Weg nachdenke.” Sie warf ihm einen Seitenblick zu und drückte seine Hand. “Was noch lange nicht heißt, dass ich deinen Antrag ablehne … Bitte hab Verständnis dafür, dass ich noch Zeit brauche.”
Mit Märtyrerblick bot Matthew ihr an, auf sie zu warten. Emma schüttelte den Kopf. “Ich nehme dann eine Droschke. Ich weiß nicht, wie lange es dauert, vielleicht ja nur ein paar Minuten, falls Madame mich auf den ersten Blick verabscheut.” Sie seufzte. “Oder Stunden, wenn Madame meine Gutmütigkeit auf die Probe stellt, indem sie mich ewig warten lässt.”
Sie hatte nicht ernsthaft damit gerechnet, dass man sie warten lassen könnte. Nun blickte Emma auf, als die Standuhr die halbe Stunde schlug, die sie nun schon auf einem harten Stuhl in der Eingangshalle saß. Es war nach halb vier, und ihre Ungeduld und Ernüchterung wurden immer größer. Sie hielt nach dem sauertöpfischen Butler Ausschau, der sie eingelassen hatte. Madame Dubois erwarte sie, hatte er sie informiert und sie zu dem Stuhl geführt. Dann war er steifbeinig verschwunden.
Emma stand auf und trat zu einem verschnörkelten Goldspiegel. Sie rückte ihre Schute zurecht, bewunderte ein Konsoltischchen aus Rosenholz. Mit einem ungeduldigen Seufzer kehrte sie zu ihrem Stuhl zurück. Sie beschloss, noch ein paar Minuten zu bleiben. Jemand, der rücksichtslos genug war, sie so lange warten zu lassen, gab kaum eine gute Dienstherrin ab. Gerade als sie sich hinsetzen wollte, wurde eine Tür geöffnet.
Die Gestalt, die heraustrat, war männlichen Geschlechts, groß und hellblond. Fassungslos starrte sie das attraktive Profil an. Diese markanten, sonnenverbrannten Züge, dieses lange, silberblonde Haar hatte sie erst vor kurzem gesehen: Es war der ausländische Graf, der auf dem Weg nach Bath im “Fallow Buck” Station gemacht hatte. Schnell setzte sie sich hin, verschränkte die Hände auf dem Schoß und senkte den Blick. Natürlich! Sie war einfach nicht darauf gekommen, dass die fragliche Madame die Gattin des französischen Adeligen sein könnte.
Feste Schritte lenkten ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Mann, der nun langsam auf sie zukam. Sie hielt den Blick weiter auf ihre Hände geheftet. Als seine Schritte langsamer wurden, wurde ihr klar, dass er sie bemerkt hatte. Flüchtig sah sie auf, das Gesicht im Schutz der Hutkrempe verborgen, und erstarrte. Sofort senkte sie den Blick, denn zu ihrem grenzenlosen Schrecken kannte sie den Mann. Von wegen französischer Graf! Hysterisches Gelächter stieg in ihr auf. Kein Wunder, dass er ihr bekannt vorgekommen war! Sie
kannte
ihn ja auch!
Aber er hatte sich verändert. Es überraschte sie nicht, dass sie ihn nicht sofort hatte einordnen können. Früher hatte er sein blondes Haar modisch kurz getragen, nun war es lang und silbern ausgebleicht, und sein Teint war nicht länger vornehm blass, sondern tiefbraun.
Der Schankbursche hatte ihn als “feinen Pinkel mit ‘nem seltsamen Namen” beschrieben … nun, das war völlig korrekt. Es war allein auf ihre romantische Ader zurückzuführen, dass sie ihn zum französischen statt englischen Adeligen erklärt hatte. Sie war ihm schon öfter begegnet, und bei jeder dieser Begegnungen hatte sie es sich angelegen sein lassen, ihn zu beleidigen. Und nun saß sie demütig in seinem Haus und hoffte darauf, engagiert zu werden. Sie unterdrückte einen entsetzten Schauder.
Da wurde sie gewahr, dass ein Paar tadellos geschnittene schwarze Schaftstiefel in ihr Blickfeld getreten waren. Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass er sie nicht erkennen möge. Er wechselte die Richtung und trat zu dem Konsoltischchen, das sie vorhin bewundert hatte. Dann zeigten die Stiefelspitzen in
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