Der Silberbaron
Kammer im ersten Stock für das Abendessen frisch gemacht. Als sie sich bei Maisie für das Wasser und den Waschlappen bedankte, wurde ihr das nur mit einem kurz angebundenen Murren vergolten.
Das Mahl war reichhaltig und köstlich gewesen. Der Esstisch bog sich unter der Last von Lamm- und Kalbsbraten, einem gekochten Huhn, dazu dampfendem Gemüse und süßen Johannisbeertörtchen. Wein wurde auch gereicht, doch obwohl Matthew ihnen eingoss, rührte er sein Kelchglas kaum an – ein Umstand, der Emma ungeheuer erleichterte.
Sie bemühte sich zwar, mit den Kindern ein Gespräch zu beginnen, doch schien es den beiden zu widerstreben, lang genug mit Kauen aufzuhören, um eine Antwort hervorzubringen. Befragt nach ihren Schulstunden, erklärte Rachel mit einer Grimasse, Miss Peters aus dem Pfarrhaus unterrichte sie. Auf die freundliche Erkundigung, ob sie denn besondere Begabungen hätten, hatten beide nicht lange überlegt, ehe sie erklärten, es nicht zu wissen.
Ihr liebender Vater hatte dann gemeint, sie seien eben zu bescheiden, doch die beiden hatten bloß den Kopf gesenkt und mit großer Begeisterung ihr Essen in sich hineingeschaufelt. So konzentriert waren sie bei der Sache, dass weder Platz war für weitere Fragen noch für Tischmanieren.
Die ältliche graubraune Stute, die Matthews Einspänner zog, geriet in einer Furche ins Straucheln, worauf sie gegeneinander prallten. Matthew richtete Emma wieder auf und hob dann ihre Hand an die Lippen. “Wie schön, dich wieder einmal zu sehen”, sagte er leise.
Womit er auf taktvolle Weise andeuten wollte, wie Emma klar wurde, dass die Erklärung für ihren Besuch überfällig war. “Ich verließ London, um der Verheiratung mit einem ekelhaften Mann zu entgehen”, erklärte sie ihm einfach, den Blick auf die dämmrigen Felder gerichtet.
“Etwas Derartiges habe ich mir schon gedacht”, sagte Matthew und zügelte die Stute.
Emma blickte auf ihre Hände, die in den seinen lagen. “Meine Eltern haben für mich eine Heirat arrangiert in der Hoffnung, dass mein zukünftiger Gatte die Schulden meines Vaters begleicht. Dabei ist der Mann ein notorischer Schurke.” Ihre Stimme begann vor Empörung zu zittern. “Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass sie sich mir gegenüber so erbarmungslos verhalten könnten. Die Sache war bereits beschlossen, bevor ich überhaupt davon erfuhr. Jedenfalls lasse ich mir das nicht gefallen. Sie haben mich schäbig behandelt …”
“Sie müssen in schlimmen Schwierigkeiten stecken, Emma, sonst hätten sie es bestimmt nicht getan.” Sanft strich er ihr mit dem Daumen über das Handgelenk. “Mich macht es jedenfalls sehr glücklich, dass du dich an mich gewendet hast.” Seine Stimme wurde heiser. “Bedeutet das, dass du geneigt bist,
meinen
Heiratsantrag in Erwägung zu ziehen?”
Die Atmosphäre zwischen ihnen schien sich aufzuheizen. Das war es doch, was sie gewollt hatte, oder? Bei ihm hatte sie Zuflucht gesucht, und das waren die Worte, die sie zu hören gehofft hatte. Sie hörte sich sagen: “Ich brauche Zeit zum Nachdenken, Matthew, ich bin so verwirrt, von Zweifeln geplagt. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich meine Eltern im Stich ließ, und dann wieder denke ich, ich verachte sie genauso sehr wie Jarrett Dashwood.” Selbst im Dämmerlicht bemerkte Emma, wie Matthew plötzlich erbleichte.
“
Dashwood? Dashwood
will dich heiraten?”
Dies klang so ungläubig, dass Emma etwas ironisch lächelte. “Er wünscht eine reife, gesetzte Frau zu heiraten. Sie soll gefügig sein und, denke ich mir, so überströmen vor Dankbarkeit, in den Stand der Ehe erhoben worden zu sein, dass sie keine Einwände gegen sein schmutziges Treiben erhebt. Vermutlich bedeutet sie ihm nichts anderes als eine Zuchtstute.”
Matthew warf ihr von der Seite ein ironisches Lächeln zu. “Gefügig? Ausgerechnet du, Emma?”
“Du sagst es”, stimmte sie im selben trockenen Ton zu. “Aber meine Mutter kann, was meine Vorzüge betrifft, recht überzeugend sein, wenn sie einen Junggesellen wittert. Sein Charakter fällt da kaum ins Gewicht.” Sie wurde wieder nüchtern. “Danke für dein Angebot, Matthew. Ich werde ernsthaft darüber nachdenken. Und vielen Dank für deine Gastfreundschaft und dass du mich zu meiner Unterkunft bringst. Ich war ja so erleichtert, dass du immer noch im Nonesuch Cottage wohnst und auch nicht … wieder geheiratet hast.” Sie warf ihm einen Seitenblick zu. “Schließlich weiß ich, wie viel dir daran
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