Der Silberbaron
geballten Faust nach ihm. “Bestimmt wissen Sie, wo die billigsten Flittchen zu haben sind”, spie sie ihm entgegen. “Andernfalls hätten Sie bei Ihrem Verschleiß schon längst ihr schönes Zuhause an die Bordelle verloren!”
Er packte ihre wild um sich schlagenden Fäuste mit grobem Griff und zog Emma hinter sich zum Pfad. Wieder auf festem Boden, gab er ihr einen Stoß in Richtung der lodernden Fackeln. “Gehen Sie ins Haus zurück”, wies er sie kalt an und sah zu, wie sie sich widerstrebend in Bewegung setzte. Dann ging er in die andere Richtung davon.
8. KAPITEL
“Richard sieht so zornig aus – haben Sie sich mit ihm gestritten?”, fragte nun eine schrille Stimme hinter Emma und brachte sie zum Stehen. “Ich habe mich mit Stephen gestritten”, fuhr Amelia fort und brach in Tränen aus.
Emma legte Amelia tröstend die Hand auf den Arm, doch ihre Seele war in Aufruhr: Ihr Zorn war so groß, so glühend, dass sie am liebsten umgekehrt und Richard Du Quesne hinterhergeeilt wäre in der Hoffnung, dass ihre Faust ihn diesmal überrumpeln würde.
Hatte er vielleicht nur aus reiner Bosheit angedeutet, Matthew sei ein Säufer und Frauenheld? Aber warum sollte sich ein so reicher und mächtiger Mann dazu herablassen, jemanden zu verleumden, der weit unter ihm stand? Außerdem konnte sie nicht leugnen, dass er ernsthaft schockiert gewirkt hatte, als sie ihre Verbindung zu Matthew Cavendish bestätigte. Wie sie auch nicht leugnen konnte, dass sie an Matthew schon Anzeichen von Trunkenheit bemerkt hatte, oder dass seine Haushälterin sich ihm gegenüber tatsächlich recht freizügig benahm. Bisher hatte sie dafür plausible Erklärungen gefunden: Matthew entspannte sich eben bei einem Gläschen, die Haushälterin war nur ein bisschen schlampig.
Endlich drang Amelias Schluchzen durch ihre wirren Gedanken. Sie hängte sich bei ihr ein und schritt mit ihr den Pfad hinunter. “Nehmen Sie es sich nicht so zu Herzen, Amelia”, sagte sie beruhigend, “bestimmt werden Sie und Stephen sich bald wieder vertragen.”
Amelia schüttelte den Kopf und schniefte. “Wir haben uns gestritten, weil er eine andere hat, ich weiß es genau. Er hat es nicht einmal geleugnet. Er … er hat bloß gesagt, ich wäre zu besitzergreifend und es ginge mich nichts an, in wessen Gesellschaft er sich bewegt, und dass er das Recht auf seine Freiheit hätte wie andere Männer auch. Andere Männer haben Geliebte, das ist es, was er meint.”
“Aber gesagt hat er es nicht, oder?”
“Glauben Sie, dass ich mich vielleicht irre?”
Emma lächelte ihr aufmunternd zu, doch insgeheim dachte sie, dass wenn Stephen seinem Bruder nur im Mindesten gliche, er vermutlich weit untreuer war, als seine Gattin es für möglich hielt.
“Darf ich noch ein bisschen mit auf Ihr Zimmer kommen?”, fragte Amelia, als sie das Haus betraten.
“Natürlich”, sagte Emma freundlich, hatte aber das Gefühl, dass sie eigentlich selbst eine Freundin brauchte, der sie sich anvertrauen konnte.
Am nächsten Morgen erhielt sie ein Billett, in dem sie in Richards Arbeitszimmer gebeten wurde. Emma warf es ins Feuer. Dem zweiten, schon drohender formulierten Brief erging es nicht besser. Den dritten, in dem er ihr schreckliche Konsequenzen androhte, sollte sie es wagen, in seiner Abwesenheit das Haus zu verlassen, las sie sorgfältig durch und hob ihn auf.
Eine Stunde später blickte sie von ihrem Fenster auf die Einfahrt hinunter, wo zwei berittene Männer aufgetaucht waren. Richard stieg soeben auf einen goldenen Hengst, den selbst die unerfahrene Emma als überaus edles Tier erkannte. Ross saß auf einem Fuchs, der ungeduldig mit den Hufen stampfte.
Sobald die beiden Reiter die Allee hinunter verschwunden waren, schnappte sie sich einen Schal und eilte in die Ställe.
Ein Reitknecht plauderte dort mit einem der Hausmädchen, das sich hastig verabschiedete, als es Emma bemerkte. “Herrlicher Tag heute”, grüßte Emma den Knecht und blickte auf die nebelverhangene Landschaft. “Ich möchte ausfahren. Würden Sie bitte für mich anspannen lassen?”
“Geht nich’, Madam”, platzte der Knecht heraus und lief feuerrot an.
“Ich übernehme auch die Verantwortung Lord Du Quesne gegenüber”, schmeichelte sie.
“Geht nich’, Madam”, wiederholte der Knecht. “Seine Lordschaft hat gesagt, dass Sie vielleicht kommen und wegfahrn wollen und dass ich ihm das dann sagen soll.”
Emma rang sich nun ein steifes Lächeln ab. “Also dann …”, sagte
Weitere Kostenlose Bücher