Der Silberbaron
sie und marschierte zum Haus zurück.
Sie traf Amelia im Morgenzimmer an, wo sie lustlos an einer Stickerei stichelte. “Haben Sie einen Moment Zeit?”
Amelia ließ die Handarbeit sinken und nickte. Ihr Gesicht war verquollen vom Weinen, und Emma verfluchte die beiden Du Quesnes.
“Amelia, Sie wollten doch, dass ich Sie später in die Assembleesäle begleite. Eigentlich habe ich ja gesagt, dass ich nicht mitkommen möchte, aber ich habe mir gedacht … vielleicht könnten wir uns gegenseitig einen Gefallen tun – wir scheinen es beide nötig zu haben. Wenn ich Ihnen verspreche, Sie heute Abend zu begleiten, darf ich Sie dann auch um etwas bitten?”
“Natürlich, jederzeit, Emma”, sagte Amelia.
“Würden Sie bitte zu den Ställen gehen und anordnen, dass eine Kutsche vorfährt, weil Sie nach Bath wollen? Erwähnen Sie aber bitte nicht, dass ich Sie begleiten will.”
Amelia wurde munter. “Ist das irgendein Komplott? Wohin fahren wir denn wirklich?”
“Ich erzähle es Ihnen unterwegs”, versprach Emma mit einem zufriedenen Lächeln.
“Lieben Sie diesen Mann?”, flüsterte Amelia und lehnte sich neugierig vor, während der glänzende Landauer über Feldwege Richtung Oakdene holperte.
Emma zuckte mit den Schultern. Jetzt, wo der Morgennebel sich verflüchtigt hatte, schien die Sonne warm vom Himmel und brachte die Herbstfarben zum Leuchten.
“Deswegen sind Sie also nach Bath gekommen, stimmt’s? Sie sind hier, um Ihren Freund zu besuchen, nicht Richard, wie er gestern beim Essen behauptet hat. Wie romantisch! Und Sie sind ganz allein von London gekommen, haben alles riskiert, um dem Ruf Ihres Herzens zu folgen!”, murmelte Amelia theatralisch. “Richard weiß natürlich Bescheid und unterstützt Sie nach Kräften, wo Sie doch so gute Freunde sind.” Sie achtete nicht auf Emmas spöttisches Lachen. “Ich habe mich schon gewundert, warum Richard darauf bestand, dass niemand Sie ausfragt, wieso Sie ganz allein in Bath sind. Und Ihre Eltern? Mögen sie diesen Mann?”
“Vermutlich können sie sich kaum an ihn erinnern. Aber da er nicht wohlhabend ist, wäre er bestimmt eine Enttäuschung für sie.” Sie seufzte und schloss die Augen, da sie das Thema nicht weiter verfolgen wollte – sie wollte Amelia keine Lügen erzählen. Ihre Gedanken überstürzten sich. Hoffentlich war Matthew ein ehrbarer Mann. Hoffentlich wollte er sie noch. Hoffentlich wäre sie mit ihrem Los zufrieden. Hoffentlich zerstörte Richard nicht alles, indem er sich bösartig einmischte.
“Sie schon wieder.”
“In der Tat”, fuhr Emma empört auf. “Ist Mr. Cavendish zu Hause? Ich möchte ihn gern sprechen.”
“Da is’ er schon, aber ich hab keine Ahnung, ob Sie ‘nen Ton aus ihm rausbringen”, spottete Maisie finster.
Emma blickte zu dem Landauer, wo Amelia und der Stallknecht diskret den Kopf abwandten.
“Sie sind ja mächtig fein geworden, was? Haben Sie wohl alles dem Silberbaron zu verdanken. Da frag ich mich doch, was Sie hier überhaupt noch wollen.”
“Was wissen Sie vom Silberbaron?”, fragte Emma scharf und musterte Maisies mürrische Züge.
“Was soll eine wie ich schon von ihm wissen?”, schnaubte Maisie. “Außer dass er ‘ne Menge Kohle und Einfluss hat. Hat Matthew gleich wieder zur Flasche greifen lassen, nachdem er hier war.”
“Was? Wann?”, keuchte Emma fassungslos.
“Anfang der Woche. Heut Morgen noch mal. Da hat man’s richtig mit der Angst bekommen, auch wenn er ganz ruhig war. Aber mächtig wütend war er, wegen Ihnen, nehm ich mal an.”
Emma wurde bleich, und ihr Herz klopfte wie wild. “Sagen Sie Mr. Cavendish, dass ich mit ihm sprechen möchte”, befahl sie mit zitternder Stimme.
“Sagen Sie’s ihm doch selber”, erwiderte Maisie unhöflich und entschwand.
Emma folgte ihr zögernd in das Cottage und betrat die kleine Küche. Maisie ignorierte sie und trank weiter ihren Tee.
“Ich will mich nicht mit Ihnen streiten, Maisie”, seufzte Emma. “Bestimmt sorgen Sie ganz vortrefflich für Mr. Cavendish.”
“Sie haben ja keine Ahnung, wie gut, Miss Vornehm. Und er will nich’, dass so eine wie Sie mitkriegt, was los ist. Also hauen Sie ab und lassen Sie uns in Ruhe. Seit Sie hergekommen sind, geht’s ihm schlechter als je zuvor.” Nach einem Schluck Tee sagte sie: “Er is’ oben im Bett.”
Emma stieg die Treppe hinauf und öffnete eine der beiden Türen. Matthew lag angekleidet auf dem Bett, den Kopf auf die Arme gebettet. Seine Augen waren
Weitere Kostenlose Bücher